Durch die bucklige Welt, eine Fluchtgeschichte und Muskelschwund
24. Tag: Donnerstag, 6. Juli
Strecke: Walkenried – Limingerode – Brochthausen – Duderstadt – SIemerode – Heilbad Heiligenstadt – Bad Sooden-Allendorf – Eschwege
Streckenlänge: 121 km
Der bergige Harz liegt hinter mir, auf verschlungenen Wegen geht es durch die bucklige Welt von Niedersachsen (West) und Thüringen (Ost). Auf jede Abfahrt, folgt unweigerlich die nächste Steigung. Die Bilder wiederholen sich: Felder, Dörfer, mehrmaliges Durchschneiden der ehemaligen Zonengrenze, Erinnerungssteine, Loch-Plattenwege, … Einzig die Versorgungslage hat sich gebessert. Zum Thema Bilder: Radfahren und fotografieren schließen sich praktisch aus – Rhythmus da, kein Foto, Foto da, Rhythmus weg!
Beim Frühstück in Duderstadt bekomme ich eine Fluchtgeschichte aus erster Hand mitserviert. Siegfried Rothensee aus Brehme war 16, als Freunde sich „für längere Zeit“ von ihm verabschiedeten. „Nicht ohne mich“, entschied er sich spontan zur Flucht. Es war ein Sonntag, Siegfried steckte im festtäglichen Anzug mit weißem Hemd. Bei Ecklingerode wählten die Drei den Weg durchs Moor, „weil da die Minen nicht griffen“. Beim Forsthaus „Rothe Warte“ waren sind sie dann „drüben“, Siegfried in seinem verdreckten Sonntagsanzug. Eine Taxifahrerin sammelte die Burschen ein. Sein Bruder Karl-Heinz hatte zuvor weniger Glück, für versuchte „Republikflucht“ ging er drei Jahre nach Bautzen in den Knast. Heute lebt Siegfried Rothensee wieder im „Osten“, in Teistungen, nahe der ehemaligen Grenze, wenige Kilometer entfernt von Duderstadt.
Ein bis dato nicht eingewechselter Big-Player ist heute wieder mit im Spiel: Die „gelbe Sau“ (Anm. Sonne) – lange hab ich auf sie gewartet – gibt heute alles. Die Muskeln sind verhärtet, die Luft ist da, die Kraft ist weg. Immer öfter wird das Rad geschoben statt gefahren. Eine kurze Mitfahrgelegenheit lässt mich wieder zu Kräften kommen und auf den letzten Kilometern nimmt mich der Fluss Werra an der Hand und bringt mich sicher zum heutigen Schlafplatz.