Ein Schlammpfad, ein Unwetter und ein Bergdorf nahe dem Himmel


  1. Tag: Freitag, 30. Juni 2023

Strecke: Mestia – Ushguli

Streckenlänge: 41 km (gesamt 4.089 km)

Die Kilometerleistung nach Ushguli ist eine klägliche, die Anstrengungen hingegen sind heroisch. Ab Kala wird die Situation haarig, der bucklige Asphalt verschwindet gänzlich und ein Schlammpfad nimmt seinen Lauf: Tiefe Erdlöcher, Bauarbeiten verengen die ohnehin enge Fahrspur, dem nicht genug, kreuzt ein Fluss den Weg. Die letzten zehn Kilometernehmen verschlingen eine volle Stunde. Die Ortstafel lässt aufatmen. Ushguli ist auf 2.200 Metern eines der höchstgelegenen noch bewohnten Bergdörfer Europas/Asiens (eine ewige Streitfrage, ist Georgien noch Europa oder schon Asien), eingerahmt von saftigen grünen Hügeln und schneebedecken Bergspitzen. Die Häuser sind aus Stein und unzählige Wehrtürme stemmen sich in den Himmel. Kühe drängen sich durch die unbefestigten Gassen und hinterlassen ihre Spuren.
Der letze blaue Fleck am Himmel verschwindet, die Wolken werden dichter und dunkler bis ihnen der Kragen platzt. Das Unwetter ist gekommen um zu bleiben. Die Zeit wird mit hervorragenden georgischen Rotwein über die Runden gebracht. An Zeltaufbau ist nicht zu denken und es findet sich ein Guesthouse wo auch gekocht wird. Das Abendessen wird im Familienwohnzimmer serviert. Der Fernseher läuft, die Tochter des Hauses verliert sich in einer Seifenoper, später muss sie sich um die Milch kümmern und der Opa übernimmt das Sofa. Wettermäßig ist keine Besserung in Sicht und so werden schon bald die Augen geschlossen.

Wasserfälle, Berggipfel und Wehrtürme


  1. Tag: Donnerstag, 29. Juni 2023

Strecke: Anaklia – Sugdidi – Mestia

Streckenlänge: 223 km (gesamt 4.048 km)

Von Mingrelien nach Swanetien, vom Meeresniveau in die luftigen Höhen des Großen Kaukasus. Mingrelien die nordwestlichste Region Georgiens gleicht einer großzügig angelegten Schrebergartensiedlung, durchzogen von Straßen und Flüssen, mit eigenem Meerzugang. Swanetien ist spartanischer, weniger Dörfer, weniger Straßen, viel mehr Gegend, umringt von hohen schneebedeckten viertausender Gipfeln. Nach Mestia, der Hauptstadt Swanetiens führt nur eine einzige Straße und selbst diese ist auf Grund ihres Zustandes nicht zügig befahrbar. Unterwegs sorgen Wasserfällle für Erfrischung und angriffslustige Hähne für Aufregung. Mestia ist eine aus mehreren Dörfern zusammengewachsene Kleinstadt, besitzt 42 Wehrtürme und ist Ausgangspunkt vieler Wanderungen und Touren. Das Symbol Swanetiens sind seine Wehrtürme, die seine Bewohner_innen vor Eindringlingen und vor lokalen Fehden schützten. Die Swaneten gelten als sehr wehrhaftes Volk, sogar die Mongolen sollen sich an Ober-Swanetien die Zähne ausgebissen haben, nur der Tourismus hat es inzwischen geschafft die Region zu erobern.
Für morgen ist eine Ausfahrt in das swanetische Bergdord Ushguli geplant, so es die Straße zulässt.

Waschtag, Wein und Gesang


  1. Tag: Mittwoch, 28. Juni 2023

Strecke: Anaklia

Anaklia bei Tageslicht präsentiert sich als krasser Gegenpol zu Batumi. Wenige Straßen, wenige Menschen, vereinzelt Unterkünfte, eine zentrale Hotelruine, ein menschenleerer Strand und eine überdimensionale Rad-/Fußgängerbrücke. Der richtige Ort für einen Wäschewasch- und Regeneriertag. Alkoholische Erfrischungsgetränke werden auch wieder serviert, die Lage entspannt sich.
Einen Steinwurf entfernt befindet sich die georgische Grenze zu Abchasien. Nach dem Zerfall der Sowietunion spaltete sich Abchasien nach einem einjährigen Krieg von Georgien ab und erklärte sich unabhängig. Heute leidet Abchasien unter seiner Allianz mit Russland.
Ein unscheinbares Straßenlokal sorgt für einen rundum gelungenen Tagesausklang. Zum ersten Mal eintauchen in die vielgerühmten georgischen Kochkünste, dazu sorgt eine Männer-Runde am Nachbartisch für die musikaliche Begleitung.

Arschlöcher aller Länder, nix Erleichterung und ein bunter Zoo


  1. Tag: Dienstag, 27. Juni 2023

Strecke: Giresun – Trabzon – Rize (TR) – Batumi (GE) – Poti – Anaklia

Streckenlänge: 489 km (gesamt 3.825 km)

Das türkische Abenteuer steht kurz vor seinem Abschluss, aber noch ist es voll im Gange. In den Vormittagsstunden verdauen die Ortsansässigen noch den vorangegangenen Tag und die Räder rollen im angenehmen Reisetempo. Auch in der Schwarzmeer Metropole Trapzon gibt es keinen beredenswerten Stillstand. Die Herausforderungen beginnen kurz nach Rize, der Geburtsstadt des vor kurzem wiedergewählten Landesvaters. LKW-Kolonnen reduzieren die Fahrspuren, eine Einzige führt zur bombastischen Grenzanlage, die Reibereien beginnen. Missverständnisse und beiderseitige Sprachbarrieren führen fast zum Eklat. Vor dem Grenzübertritt werden die Beifahrer_innen vom Fahrzeug verbannt und müssen in Massen zu Fuß, über einen riesigen Terminal, die Landesgrenze überschreiten. Die Fußgänger_innen leiden im Gebäude die Fahrer_innen in ihren Vehikeln. Eine Schikane reiht sich an die nächste, unerklärte Strafen werden zähneknirschend bezahlt, Stunden vergehen. An den Grenzstellen konzentrieren sich die größten Arschlöcher des jeweiligen Landes. Ein nächstes steinhartes Training für die eigene Gelassenheit.
Irgendwann ist die Türkei überwunden, aber die ersten georgischen Hürden lassen nicht lange auf sich warten. Batumi präsentiert sich als chaotischer, moderner Hochhauskessel, die Fahrgewohnheiten überschreiten alles bisher erlebte. Blechkadaver mit fehlenden Karosserieteilen missachten selbst die eindeutigsten Verkehrsbenimmregeln – Anarchie pur!
Batumi im Rücken beruhigt sich die Situation, ein vergleichsweise exotisches Hindernis sind die ganzen Viecher auf der Straße: Kühe, Ziegen, Schweine, Pferde, …, der ganze Bauernhof. In Anaklia, einem Dorf an der Küste im Norden, ist das Tageslicht bereits erloschen. Ein letztes noch offenes Hotel sorgt für Asyl. Morgen wartet ein verdienter Ruhetag!

Speerspitzen, Wildschweine und der alltägliche Wahnsinn


  1. Tag: Montag, 26. Juni 2023

Strecke: Cide – Kastamonu – Gerze – Samsun – Giresun

Streckenlänge: 629 km (gesamt 3336)

Um vier Uhr früh läutet der Wecker, einen schnellen Gaskocher-Kaffee und die Sitze wieder in die aufrechte Position bringen. In den frühen Morgenstunden verstecken sich die Küstenberge noch in dichten Dunstwolken und bei Sonnenaufgang sind die Straßen noch wie leergefegt.
Im küstennahen Hinterland zeigt sich die Landschaft fast wie zu Hause, bergige Straßen und viel Nadelholz. Den Unterschied machen die Speerspitzen Allahs, die zwischendurch wie Stachel aus der Umgebung stechen. Trinkbrunnen unterwegs sorgen für einen geregelten Wasserhaushalt, leider ist jede Tankstelle auch gleichzeitig ein Müllablagerungsplatz. Richtige Wildschweine, von denen unterwegs auf Hinweisschildern auch regelmäßig gewarnt wird.
Ab Gerze glitzert wieder das Schwarze Meer und ab Samsum tobt wieder die anscheinend ganz normale türkische Verkehrshölle. Stopp and Go bis zum Zielhafen in Giresun. Im Blickfeld: Linke Seite das Meer, in der Mitte die Schnellstraße und rechts türmen sich über weite Strecken Betonbunker. In Giresun wartet wieder ein gemachtes Bett. Auf einem Hügel bei einem Çay, dem bevorzugten türkischen Erfrischungsgeränk, beruhigen sich die Nerven. Auf Meeresniveau drägen sich weiterhin die Stoßstangen, in luftigen Höhen mischt sich der Muezzin in den allgegenwärtigen Alltagslärm. Die Erholung bleibt vorerst noch in der Warteschleife …

Hölle, Hölle, Hölle


  1. Tag: Sonntag, 25. Juni 2023

Strecke: Şile – Amasra – Cide

Streckenlänge: 555 km (gesamt 2707 km)

Die unendlichen Weiten der Türkei werden sträflich unterschätzt. Vier Spuren führen vorbei an Metropolen wie Izmit und Ankara. Dazwischen türmen sich die Trabantenstädte. Der türkische Verkehrsstil fordert sein Opfer und erzeugt Megastaus. Wasserverkäufer flanieren durch die Blechlawine, manche bauen zwischen den Fahrspuren ihren Stand auf.
Der Pannenstreifen dient als Mehrzweckstreifen: Er wird als Parkplatz, zusätzliche Fahrspur und Überholspur verwendet, es wird gepicknickt, alkoholfrei getrunken, geraucht und gebetet. Am Ende des Tages erstickt er im Müll.
Die Autobahnstationen bieten nicht nur Treibstoff und Verpflegung, sondern sind durch zahlreiche Geschäfte und Attraktionen zu Event-Burgen gewachsen.
Die Autobahn wird zum Familien-Ausflugsziel.
Es folgt Stau auf Stau, Stunden werden verschwendet, bis zum Entschluss den Highway zu verlassen und auf die Landstraße umzusteigen. Es wird bis in die späte Nacht gefahren um eine halbwegs herzeigbare Kilometerleistung für einen 14-Stunden Fahrtag zu erreichen. Mit dem Ziel: So schnell wie möglich raus aus der Türkei und rein nach Georgien!
Der heutige Hafen heißt Cide, erblicken lässt es sich nicht das Meer, alles schwarz, nur hören. Der Zeltaufbau wird abgesagt, heute muss das Automobil für wenige Stunden als Schlafplatz herhalten.

Asien, Alkoholen und Rindfleisch am Strand


  1. Tag: Samstag, 24. Juni 2023

Strecke: Tsarevo (BG) – Kirklareli (TR) – Istanbul – Şile

Streckenlänge: 391 km (gesamt 2.152 km)

Heute wartet die Türkei am Weg in Richtung Georgien, die Fahrstreckenhalbzeit ist bereits überschritten.
Hügel rauf und Hügel runter führt eine mit Löchern übersäte, bewaldete Landstrasse zur bulgarisch-türkischen Grenze. Keine Menschen, keine Fahrzeuge, vereinzelt Häuser und nur die Tierwelt meldet sich aus der verwachsenen Umgebung. Einziger Kontakt, eine Kontrolle durch die Fremdenpolizei und nach dem Austausch von Freundlichkeiten wartet wieder die Einsamkeit der Rumpelstrasse.
Ein kleiner Grenzübergang schützt nicht vor überlangen Wartezeiten. Mit dem Grenzübertritt ändert sich auch die Landschaft, statt Urwäldern dominiert Stein und Buschwerk, nur das Hügelige bleibt bis Kirklareli. Es folgt die Eintönigkeit der Autobahn, zu viele Kilometer sind noch ungefahren. Istanbul wird rechts liegen gelassen, ein kurzer aufregender Zwischeneindruck ist die Überquerung des Bosporus, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet. Baba Europa, Servus Asien. Die Disziplin auf der Straße verfällt, es wird kreuz und quer überholt. Die Abfahrt von der Schnellstraße bringt Erleichterung. Bei Şile findet sich auf einer Anhöhe ein einfacher Zeltplatz direkt am Meer. Freilaufende Kühe verirren sich bis auf den Sandstrand und der Wellengang ist beachtlich.
Die ersten Erfrischungsgetränke bleiben promillefrei und die Versorgung mit Bier/Wein kostet einige Zusatzkilometer. Das Strandasyl kann mit keinem Imbiss aufwarten und so stehen Sackerl-Spaghetti vom Gaskocher statt Kebab auf der Speisekarte. Die neue Nachbarschaft ist besser ausgerüstet und grillt mit Stirnlampe bis in die Dunkelheit. Trotzdem, die Wellen rauschen, es weht eine angenehme Brise und die Freuden überlagern die Anstrengungen.

Balkangebirge, einmal quer durchs Land und ein gemachtes Bett mit Ausblick


  1. Tag: Freitag, 23. Juni 2023

Strecke: Belogradtschik – Sofia – Burgas – Tsarevo

Streckenlänge: 635 km (gesamt 1.761 km)

Weiter, weiter, über das Balkangebirge drüber, vorbei an Sofia und rauf auf den Highway Richtung Schwarzes Meer. Einmal quer durch Bulgarien vom nordwestlichsten in den südöstlichsten Zipfel. Ein ganzer Tag am Gaspedal.
Ab Burgas ist das Schwarze Meer in Sichtweite. In Tsarevo angekommen beginnt die herausfordernde Suche nach einem Zeltplatz. Ein klassischer Campingplatz mit Stellplatz für Zelt und Fahrzeug ist nach mehrfachen Anfahrten nicht aufzutreiben, alles verhüttelt, dicht an dicht und so steht das Bett diesmal in einem gemauerten Haus direkt am malerischen Fischerhafen. Ein Balkon mit Meerblick und ein Restaurant zu ebener Erde direkt am Wasser entschädigen für die Strapazen des Fahrtages. Die Club-Musik vorm Fenster tönt noch als der letzte Schluck getrunken und die Augenlider gefallen sind.

Vorlaute Kröten, ein Tag am Schdrom und alles anders


  1. Tag: Donnerstag, 22. Juni 2023

Strecke: Bela Crkva (SRB) – Moldova Veche (RO) – Dubova – Eșelnița – Orșova – Kladovo (SRB) – Negotin – Widin (BG) – Belogradtschik

Streckenlänge: 343 km (gesamt 1.126 km)

Der Kröten haben die Nacht fast durchgebalzt, erst in den frühen Morgenstunden halten sie ihre Mäuler.
Bela Crkva hat sich herausgeputzt und feiert einen mehrtägigen Karneval, doch zum Verweilen ist das Zeitkorsett zu eng. Eine einsame Landstraße führt vorbei am Wein zur rumänischen Grenze und nach einer kurzen Berg-Etappe ist er wieder zurück, der Schdrom. Eine über weite Strecken einsame Straße begleitet ihn, dazwischen drängen sich mit Zelten und Schirmen bestens ausgestattete Fischfänger. Die Donau als Grenzfluss. Auf serbischer Seite drängt sich die Burg Golubac ins Bild, bei Dubova wird der breite Schdrom zum Nadelöhr und auf rumänischer Seite wartet der in Stein gemeißelte Kopf des Drakerkönigs Decebalus auf Besucher_innen. Aus einem geplanten Badetag am Fluss, wird unerwartet ein Reisetag, das Wetter spinnt gerade. Ab Orșova bis zum Kraftwerk Eisernes Tor 1 zwängt sich der Schwerverkehr ins Geschehen. Noch einmal über die Grenze zurück nach Serbien. Bei Kladovo ein vorerst letzter Kontakt mit dem Schdrom und bei Negotin wartet schon der nächste Grenzübertritt. In Belogradtschik ragen außergewöhnliche Steinformationen in den Himmel, jetzt ist der Weg zu Körperpflege, Schlafplatz und einem ausgedehnten Abendmahl nicht mehr weit!

Flusserwachen, ein Fleckerlteppich und Turbo L´Amour-Hatscher


  1. Tag: Mittwoch, 21. Juni 2023

Strecke: Bezdan – Sombor – Apatin – Zrenjain – Vršac – Bela Crkva

Streckenlänge: 327 km (gesamt: 783 km)

Störche gleiten, Enten landen, Fische schnappen nach Luft, die Vögel begrüßen den Tag und der Schdrom strudelt gelassen seinen gewohnten Lauf. Nach einem ausgedehnten Frühstück in Apatin, den Schdrom direkt vor den Füßen, geht es quer durch die Pampa der Vojvodina. Der zu befahrende Untergrund, ein holpriger Fleckerlteppich durchschneidet kleine Dörfer mit noch monarchischer Bausubstanz und ganz viel Landwirtschaft: Mais und Korn so weit das Auge reicht.
An den Bela-Crkva-Seen breiten sich Urlaubsgefühle aus. Öffentlich zugängliche Badebereiche und in der Bora-Bora Bar steppt der serbische Turbo-Folk. Dosendisco für Alle, für die Schönen genauso wie für die Normalos. Moderne und Realer Sozialismus treffen aufeinander und vertragen sich.
Im Restoran Klub sammelt sich ein Frauenstammtisch an einer fein gedeckten Tafel. Zwei Dutzend Freundinnen, die meisten von ihnen haben ihr Klimakterium bereits hinter sich, sind in Feierlaune. Auffallend die künstlerisch vorgetragene Haarpracht, geflochten und teils mit Blumen bestückte Frisuren. Eine Zweimannband unterhält die fesche Runde mit nationalen und internationalen L´Amour-Hatschern. Ein unerwarteter, höchst unterhaltsamer Tagesausklang!