Ein unauffälliger Grenzwechsel, ein Lied im Ohr und schlafen neben dem Castle


7. Tag: Samstag, 20. Juli

Strecke: Derry (NIR) – Convoy (IRL) – Ballybofey – Donegal – Rossnowlagh – Kilbarron Castle

Streckenlänge: 97 Kilometer

Neuer Tag neue Aufregungen, meine Schuhe sind nach Tagen zum ersten Mal wieder trocken, dafür hat sich die Regenhaut meiner Gepäckstasche in Luft aufgelöst, bei der lokalen Wetterlage eine mittlere Tragödie. Die Abfahrt verzögert sich, zuerst muss ein neuer Wetterschutz her. Gesucht, gefunden!
Die Stadtausfahrt von Derry ist ein Traum, ein Radweg führt entlang des River Foyle raus aus der Stadt und mündet in einer wenig befahrenen Nebenstraße. Das Ziel ist der «Wild-Atlantik-Way» an der Westküste. Der Grenzübertritt von Nordirland in die Republik Irland ist nicht wahrnehmbar, keine Tafeln, keine Flaggen, keine Markierungen, einfach nix. Wie schaut dann eine harte Grenze nach dem Brexit aus? Mit den Gedanken bei U2 («Sunday Bloody Sunday») und John Lennon («The Luck of the Irish»), im Ohr klingt Paul McCartneys «Give Irland back to the Irish»!
Einziger Unterschied, die Entfernungsangaben sind nicht mehr in Miles, sondern in Kilometer angeschrieben. Und, alle Wegbeschreibungen sind zweisprachig ausgeschildert, in Englisch und in Irisch-Gälisch.
Die idyllische Landstraße führt durch hügeliges Grünland. Saftige eingezäunte Wiesen soweit das Auge reicht und Schafe, Schafe, Schafe. Leider mündet jede kleine Straße irgendwann in einer großen. Keine Lust auf Verkehrsstress, dann lieber eine Kurzstrecke mit dem Bus nach Donegal. Durch Donegal fließt der River Eske, es gibt ein Donegal Castle und in der Stadtkirche gegenüber wird gerade geheiratet. Nach dem Ja-Wort, die Braut zum Bräutigam (O-Ton): «And now we have a drink!»
Jetzt wartet der «Wild-Atlantic-Way», kurzzeitig noch auf der Hauptstraße, später auf verschlungenen Wegen. Ein Teil des «EuroVelo 1», der Atlantikküsten-Route, führt durch Irland. Die erste Küstenbekanntschaft ist der Rossnowlagh Beach, ein elendslanger Sandstrand, wo Besucher_innen ihre Automobile parken und Sufer_innen auf die perfekte Welle warten. Es kann nur besser werden. Das Problem Schlafplatzsuche hat sich nicht entschärft, das viele Grün und alles eingezäunt. Letztendlich war doch noch ein Platzerl frei, direkt neben dem Kilbarron Castle, oder besser gesagt, dem was von ihm noch übrig ist (siehe Bildhintergrund).

Walled City, Bloody Sunday und Free Derry


 

6. Tag: Freitag, 19. Juli

Derry/Londonderry

Ein großer Abend mit Hindernissen: Die Küchen sperren ortsübergreifend um 21 Uhr. Ein Burger ist sich gerade noch ausgegangen. Zum Tagesabschluss eine Derry-Pub-Runde: Im «Peadar O’Donnell’s» gibt es jeden Abend irische Live-Musik, auch alle Tourist_innen wissen das. Das Lokal ist bummvoll, viel Bier, viele Selfies, viel Folklore, eine tapfere und gleichfalls wunderbare Band. Im «The Bogside Inn» hingegen ist gerade einmal die Bar spärlich besetzt. Von den Deckenstreben erinnert ein Bobby-Sands-Sager – «Our revenge will be the laughter of our children». Einer und eines geht sich noch aus, ein «letzter» Whiskey, ein «letztes» Guinness in der «Oakgrove Bar», eine einfache Nebenan-Kneipe. Keine Tourist_innen, zwei Alleinunterhalter, Pub-Spiele, … der Rest würde zu weit führen!
Nach dem Irish-Breakfast wird schweren Herzens das Bett gewechselt, leistbare Betten in Derry sind rar. Heute gehört der ganze Tag der Stadt am River Foyle. Derry wird aufgrund seiner begehbaren und bestens rausgeputzten Stadtmauer auch «The Walled City» genannt. Einmal die eineinhalb Kilometer im Kreis gelaufen und Derry ist überblickt, sowohl der historische Stadtkern als auch die Viertel rundherum. Derry war auch ein trauriger Hauptschauplatz im Nordirland-Konflikt. Am 30. Jänner 1972 wurden bei einem friedlichen Bürgerrechts-Demonstrations-Marsch 13 Menschen von britischen Soldaten erschossen! In der Bogside (Katholisches Viertel) auf der Rossville Street befindet sich heute der «Free Derry Corner». Murals (Wandmalereien), ein Museum und die zum Symbol des Widerstands gewordene Hausfassade – «You are now entering Free Derry» – erinnern an den «Bloody Sunday».
Nur so nebenbei, nach einem trockenen Vormittag ist der Regen zurück. Der Stadtrundgang wird durch einen Pub-Besuch unterbrochen. Noch einmal kreuz und quer durch die Stadt, bis zum nächsten Regenguss, bis zum nächsten Guiness. Heute gibt es nur eine kurze abendliche Zerstreuung, ab morgen wird wieder in die Pedale getreten!

Eine Wende, Pflicht statt Kür und Haushaltsprogramm in Derry


5. Tag: Donnerstag, 18. Juli

Strecke: Giant’s Causeway – Portrush – Portstewart – Limavady – Derry

Streckenlänge: 74 km

Irgendwann ist der Schalter dann doch noch gekippt und die Sonne gibt ein spätes Gastspiel. Glück im Unglück, der Starkregen hat alle Besucher_innen vom «Giant’s Walk» weggespült. Unzählige Pfade führen über 5 Kilometer über den «Damm der Riesen». Eine letzte, hartnäckige Besucherin bringt es auf den Punkt: «What a wounderful evening, isn’t it!» Eingeweicht, aber mit dem Tag versöhnt, findet sich auch noch ein geeigneter Zeltplatz mit Tisch und Bank für die Campingküche.
Der Tag beginnt mit Morgensonne, kurz darauf brechen wieder die Wolken. Dieses Spiel soll sich heute noch mehrfach wiederholen – Sonne, Wolkenbruch und dazu immer wieder ein Regenbogen. Das irische Wetter ist unberechenbar, vier Jahreszeiten an einem einzigen (Sommer-)Tag! Bushmille samt seiner Whiskey Destillery lasse ich links liegen, das Dunluce Castle schaut im Internetz auch viel aufregender aus und dann noch «The Open»! Die Region um Portush ist gerade im Ausnahmezustand, alles dreht sich um in Löcher zu schlagende kleine Bälle. «Nordirland is made for Golf!», verspricht die Werbung, das schaut so aus: der Atlantik, ein Golfplatz, eine Hauptstraße und daneben Wohncontainer für alle Golfdeppen.
Schnell weiter, weg von der Golf-Küste, gleich direkt nach Derry (oder auch Londonderry). Ein steiniger Weg – Hauptstraße, Blechlawine, landschaftlicher Stillstand, weitere Unwetter – das fällt nicht unter Kür, es wird ein knapper Pflichtsieg. Derry hat schon bei der Stadteinfahrt gewonnen, ein wunderbarer Radweg führt bis ins Zentrum und überhaupt – Small, beautiful, revolutionary, workingclass! – und ein gemachtes Bett (leider nur für eine Nacht) war auch noch frei. Morgen mehr über Derry, heute stehen Wäsche trocknen, Körper pflegen, Nahrungsaufnahme und Erfrischungsgetränke auf dem Programm!

Viel Gegend, viel Regen und Oaschloch Golf!


4. Tag: Mittwoch, 17. Juli

Strecke: Waterfoot – Cushendall – Torr Head – Ballycastle – Giant’s Causeway

Streckenlänge: 56 km

Einschlafen neben Schafen, aufwachen neben Schafen. Zusätzlich trommeln Regentropfen auf die Zeltplane, auf den irischen Landregen ist Verlass. Der heutige Tag ist schnell erzählt: Regen, Regen, Regen. Um bei der Wahrheit zu bleiben um die Tagesmitte gab es eine kurze Wasserpause. Trotzdem irgendwie ein wunderbarer Tag. Von der «Coastal Route» biegt die «Torr Head Scenic Route» rechts ab. Klingt atemberaubend, ist auch so, die Steigungen zwingen mich immer wieder zum Rad schieben. Dafür entschädigen die Ausblicke – grüne Hügellandschaften, Klippen, Meer. Und nach einem mehr als einstündigen Wandertag mit Rad geht es unglaubliche sechs Kilometer bergab bis nach Ballycastle. Auch in Ballycastle gibt es einen Golfplatz, Männlein und Weiblein mit kleinen Rollkoffern queren die Bundesstraße von einer Wiese zur anderen Wiese – lustiger Sport. Ein weiterer Hotspot wird ausgelassen, in Carrick-A-Rede wandern hunderte Menschen über eine Hängebrücke von der großen auf eine kleine Insel. Stattdessen lockt der «Giant’s Causeway», nur darüber gibt es vorerst nichts zu berichten, die Umstellung von Dauerbewässerung auf Starkregen verhindern einen Klippen-Ausflug. Inzwischen ist alles nass – ALLES! Egal wird eben ein Bed-And-Breakfast-Zimmer gebucht. Geht nicht, weil in Portrush findet gerade ein Golf-Open statt, Tiger Woods ist auch mit von der Partie. Keine freien Zimmer und wenn dann ab 200 Pfund aufwärts. Schluss mit lustig, Oaschloch Golf!

Krieg und Frieden, Vier durch Zwei und Schlafplatzmangel


3. Tag: Dienstag, 16. Juli

Strecke: Belfast – Carrickfergus – Larne – Ballygalley – Carnlough – Waterfoot

Streckenlänge: 83 km

Raus aus der Stadt! Stadtausfahrten haben meist etwas Verzwicktes, diesmal nicht ganz, deppensicher geht es immer der Nase nach bis zur Coast Road. Vorbei an katholischen und protestantischen Vierteln, meist ganz leicht voneinander zu unterscheiden, die protestantischen Häusern sind üppig beflaggt, es wehen der «Union Jack» und die «Red Hand Flag of Ulster». Ein Wandbild am Stadtrand beschreibt die immer noch vorherrschende Lage: «Prepared For Peace – Ready For War!»
Es muss sein was sein muss, rechtzeitig zum Tourstart beginnt es zu regnen. Nicht heftig, aber beständig. Auch das Rechts-Links-Ding ist noch immer nicht gegessen. Es wird nicht nur auf der «falschen» Seite gefahren, auch die Automobile irritieren, dort wo sich für gewöhnlich das Lenkrad dreht bleibt der Platz leer. Für Legastheniker eine harte Nuss!
Am Weg: Irgendwann wird die Vier-Spur-Straße zur Zwei-Spur-Straße, also eine Spur in jede Richtung, das macht es bei Straßen ohne Pannenstreifen nicht leichter! Carrickfergus hat ein Castle, Larne hat eine Küstenpromenade und Ballygalley hat ein Restaurant/Pub, weil im Supermarkt gibt es keine Erfrischungsgetränke für volljährige. Landschaftlich interessant wird es ab Larne – bei jedem Tritt den Atlantik im Blick! Auch das Wetter bewegt sich dezent in die richtige Richtung. Irgendwann wird es Zeit einen Schlafplatz zu suchen. Nur das Finden macht Probleme. Die meisten Wiesen sind entweder abfallend, eingezäunt oder schon belegt, entweder von Kühen, Schafen, Vorgärten oder Golfplätzen. Kurz vor Waterfoot findet sich doch noch ein Platzerl, gleich neben der Schafwiese. Vor dem Hausbau und der Koch-Session – es gibt Penne mit Paradeis-Sugo aus dem Packerl – steht noch ein Pub-Besuch auf der To-Do-Liste. Warten bis es dunkel wird …!

Ein Rechts-Links-Hop-On-Hop-Off-Problem, Belfast in Arbeit und unqualifizierte Augen/Ohren


2. Tag: Montag, 15. Juli

Belfast

Ein Bett und ein Erfrischungsgetränk haben sich noch eingestellt, gegen einen Burger sprach die fortgeschrittene Uhrzeit.
Ein Irish-Breakfast bringt alles wieder in die Ordnung. In Belfast lauert die Gefahr an jeder Ecke, die Rechts-Links-Problematik macht die erste Ausfahrt zum Abenteuer. Schau genau! Und immer andersrum als gewohnt! Hop-On-Hop-Off auf der Busroute durch die Stadt, nur ohne Bus dafür am Faltrad. Belfast eine zerrissene Stadt – teils verfallen, teils rausgeputzt, teils in Arbeit. Zuerst runter zum Fluss. Der Langan (irisch: An Lagáin) entspringt in den Bergen von County Down, fließt durch die Stadt und mündet in der Bucht von Belfast. An seiner Mündung residiert das Titanic-Belfast-Museum. Der Luxusliner verließ 1912 zum ersten und letzten Mal den Belfaster Hafen, der Rest ist Geschichte. In der Nacht zum 15. April versank er im eiskalten Atlantik. Eine Tragödie! An Tragödien hat Belfast keinen Mangel – da wäre noch der immerwährende Nordirlandkonflikt. Der Konflikt («The Troubles») zwischen Katholiken und Protestanten, Republikaner und Loyalisten, IRA und Ulster Volunteer Force, Iren und Briten nimmt kein Ende. Er hat sich beruhigt aber «The Troubles» sind noch immer am Köcheln. Die Falls Road (katholisch-irisch) und die Shankill Road (protestantisch-britisch) sind von einer «Friedensmauer» («Peace Line») getrennt, einer durchlässigen Mauer die bei Bedarf oder über die Nachtstunden geschlossen werden kann. Tagsüber gehört die «Peace Line» den Tourist_innen. Taxi- und Busladungen werden ausgeschüttet und «The Wall» ist um hunderte «Messages» reicher. Jede Seite hat ihre Helden, auf der Falls Road wird Bobby Sands (Mitglied der IRA, starb am 5. Mai 1981 an den Folgen eines Hungerstreiks) auf Wandbildern («Murals») verehrt, in der Shankill Road wird die Queen gehuldigt. Der Lokalaugenschein zu Fuß bringt mehr Verwirrung als Erleuchtung. Ein unqualifizierter Erlebnisbericht: Eine Polizeikontrolle wegen eines Fotos. Alkoholverbot im öffentlichen Raum rund um die Falls-/Shankill-Road. Ein republikanischer sowie ein loyalistischer Pubbesuch. Beide Pubs haben ihre «Hinterzimmer» im Freien für Tabak-Junkies. In beiden Pubs laufen Pferde um die Wette. Und in beiden Pubs wird ordentlich getschechert. In der Shankill-Road ist gerade «Happy-Hour», eine Alleinunterhalterin singt «There’s a bad moon on the rise» (CCR). Die Belegschaft sowohl die Herren als auch die Damen sind am späteren Nachmittag bereits hochgradig übererfrischt! Alles sehr nette Menschen. Eine Biereinladung später, mittendrin: «Austria? Australia!» «No Australia. Vienna! Austria! Close to Germany!» «Germany? Nazi!» «Nein! Aber …!» Kauderwelsch auf der einen Seite, Hauptschulenglisch auf der anderen – No way! Besser nach Hause, zu viele Eindrücke, zu viele Gedanken, zu wenig Erkenntnis – der Schädel brummt. Morgen geht es raus aus der Stadt – Ruhe! – aber für heute ein erschöpftes Baba!

Ein Haus, ein Bett und vier Mal Untergatte


1. Tag: Sonntag, 14. Juli

Strecke: Wien – Dublin – Belfast (Flug/Bus)

Anreisetag ist ungleich Freudentag: Flughafen, Rad falten, in einer Kiste verstauen, ebenfalls alle «gefährlichen» Gegenstände wie Essbesteck, Fahrradwerkzeug, Zelt-Heringe, … So ein Hering zwischen den Rippen kann tödlich sein! Also, rein in die Aufgabe-Kiste. Alles andere wie Bett, Gewand, Hygieneartikel, Hi-Tech-Allerlei (Kamera, I-Pad, Kabelsalat, …) müssen ins Handgepäck! Weniger ist mehr ist das große Geheimnis der Packkunst und fast nix ist am meisten!
Ist die erste Hürde überwunden, verspätet sich der Abflug, die Luft im Flugvogel ist nicht besser als die in der U6 und die Erfrischungsgetränke sind überteuert! Auch dieser Kelch (Anm. Ärger) wird vorübergehen. Beim Landeanflug zarte Anflüge eines Glücksgefühls. Halbzeitpause. Brompton abholen, Busstation suchen, Sitzplatz erkämpfen. Das allerletzte Ticket Richtung Belfast wird mein Eigen! Hälfte Zwei. Kein Platz, die Radtasche ruht auf meinem Schoß, Bewegungen sind unmöglich. Meine innere Ruhe ist beängstigend! Die vorbeifliegende Landschaft ist in erster Linie grün, grün in allen Schattierungen. Den Grenzübertritt nach Nordirland hab ich verschlafen, farblich hat sich nichts verändert. Am Horizont warten Belfast, ein Bett, ein Burger und ein Erfrischungsgetränk – Cheers!

PS.: österreichisch-deutsch: Untergatte-Schlüpfer