Starke Winde, ein Dreiländereck und Launen des Lebens


  1. Tag: Donnerstag, 17. September

Strecke: Wiżajny – Gołdap

Streckenlänge: 50 km

In der Nacht tobt ein Sturm und dicke Regentropfen klopfen auf das Dach. Das Mobilhaus steht wie angewachsen. Schlechtwettertest bestanden. Zum Abschied gibt es ein Gastgeschenk der Vermieterin in Form von lokalem Käse!
Heute verbindet Start und Ziel nur eine einzige Landstraße. Der Regen hat sich verzogen, der stürmische Wind ist geblieben. Nach wenigen Kilometern ist das Dreiländereck zwischen Polen, der russischen Exklave Kaliningrad und Litauen erreicht. Ein Obilisk, Warn-/Hinweis-Tafeln, ein Zaun – ein Schnappschuss und zurück auf die Piste. Die Woiwodschaft Podlachien geht in die Woiwodschaft Ermland-Masuren über, landschaftlich ändert sich nichts. Es geht entlang der Rominter Heide, ein ausgedehntes Waldgebiet zwischen Polen und Russland ausgestattet mit einer artenreichen Fauna. Für die Elche, Hirsche, Wölfe und Luchse, die da wohnen, fallen Grenzkontrollen aus. Das Wetter kann sich heute nicht entscheiden – Sonne, Wolken, Regentropfen wechseln sich ab, nur der Gegenwind bleibt standhaft. Es gibt Tage, die sind gut, welche, die sind besser und solche, die man gar nicht braucht. Ähnlich verhält es sich mit der Einsamkeit, die ist manchmal sehr „leiwand“, oft aber auch sehr „g’schissn“! So verlangt es das Leben und es passt auch so. Fest treten hilft den Kopf wieder gerade zu richten …
Themenwechsel. Das Problem mit der Nahrungsaufnahme bleibt aufrecht. Gehen die Pol_innen nur in die Kirche und nicht ins Wirtshaus? Ein Land von Selbstversorger_innen? Beginnt der Winterschlaf bereits Mitte September? Auch der Campingplatz am Gołdap-See ist dicht verrammelt, natürlich auch die Sanitäranlagen – muss eben die Natur herhalten. Das Mobilheim wird trotzdem aufgebaut. Und überhaupt, ein gutes Flascherl in Rot wirkt Wunder!

Ruhestörungen, Hügelwelten und Probleme mit der Nahrungsaufnahme


  1. Tag: Mittwoch, 16. September

Strecke: Stary Folwark – Suwałki – Wiżajny

Streckenlänge: 58 km

Der Lärm von röhrenden Hirschen und schrägem Federvieh verhindern einen ausgedehnten Morgenschlaf … Übergang zur Routine: Kaffee kochen, Zelt auftrocknen, Geräte laden, Abreise vorbereiten. In kleinen Schritten durch das Land. Da es kein wirkliches Ziel der Reise gibt, lassen sich die einzelnen Etappen gemütlich eindampfen. Rund um 50 Kilometer sind genug!
Eine Bundesstraße mit begleitendem Radweg, das polnische Radwegnetz kann sich sehen lassen, führt nach Suwałki, der letzten größeren Stadt im Nordosten des Landes. Die Hoffnungen auf ein Ham-And-Eggs-Frühstück werden bald begraben, stattdessen gibt es Erdäpfel-Bohnen-Suppe. Auch sehr gut. Die Polen sind die unumstrittenen Europameister im Suppen-Essen – 78 Liter pro Kopf im Jahr!
Kurz nach der Stadtausfahrt beruhigt sich der Verkehr und nahezu autofreie Landstraßen führen Richtung Norden. Auch die Landschaft verändert sich, das Flachland erwächst zur anspruchsvollen Hügellandschaft. Oben angekommen bedecken Felder und Weideflächen das Land, zwischendurch eingestreut Seen und Mischwälder. Im Vergleich zu den heimischen Rindviechern haben die polnischen ihren Kopfschmuck bewahrt. Und auch heute schwächelt die Infrastruktur, dazu kommen zwei selbstverschuldete «Verfahrer» bis die Räder in die heutige, einsam, aber romantische, Bettenstation einrollen. Diesmal ganz ohne Nachbar_innen!
Zum Schluss noch was zum Lachen: Die drei von Mr. Google angekündigten Gastwirtschaften sind entweder außer Betrieb oder existieren nicht. Egal, es gibt ja Nudeln im Sackerl! Aber, den eingekauften Spaghetti-Bolognese fehlen dummer Weise die Spaghetti (nur die Sauce eingekauft!). Der heutige Speiseplan kling somit wie folgt: Bolognese-Suppe mit Brot. Und auch der Broteinkauf ist in die Hose gegangen, die Heidelbeerfüllung war nicht gekennzeichnet. Morgen muss (kulinarisch) besser werden!

Polen wie Finnland, Menschen auf Schwammerlsuche und der Untergrund macht die Musik


  1. Tag: Dienstag, 15. September

Strecke: Studzieniczne See – Płaska – Bryzgiel – Stary Folwark

Streckenlänge: 50 km

Die Forelle vom Grill war ein Gedicht und die polnischen Nächte sind bereits herbstlich kühl. Rein in den wärmenden Schlafsack und die Augen zu.
Während der Instantkaffee kocht, arbeitet sich die Morgensonne hinter den Bäumen empor. Der Nordosten Polens erinnert landschaftlich an Finnland – viel Holz, viel Wasser, viel Gegend, wenig Menschen. Wenn Menschen unterwegs sind, sind sie ausgestattet mit Kübeln und Sackerln und sind auf der Suche nach Schwammerln. Das große Plus für Polen gegenüber Finnland, die Mistviecher (Gelsen; hochdt. Mücken) sind in Polen weniger zahlreich vertreten und auch die Bierpreise sind überdeutlich freundlicher. Die Räder rollen in Richtung Norden, dem Wigry-Nationalpark, nahe Suwałki entgegen. Auf wenig befahrenen Landstraßen oder auf verschlungenen Waldwegen. Der Untergrund macht die Musik: Teils über Stock, Wurzelwerk und Stein, sind die herausforderndsten Bodenbeläge die Sandpfade. Diesmal steht das Mobilheim am Wigry-See und auch hier hält sich der Andrang an Campern in Grenzen, einzig ein zweites Zelt mit gehörigem Respektabstand. Als Draufgabe befindet sich eine Gaststube in unmittelbarer Nähe und die vorsorglich eingekaufte Notration an Instant-Nudeln bleibt vorerst im Packerl!

Hauptsächlich Zugabteile, eine Radkurzstrecke und großes Glück


  1. Tag: Montag, 14. September

Strecke: Warschau – Białystok – Augustów

Streckenlänge: 10 km (Radkilometer)

Anreisetage haben nichts Romantisches. Raus aus dem Zug, rauchen, einkaufen, Gleis wechseln, rein in den Zug. Die Reiseproviantversorgung läuft nicht nach Plan – massenweise gekühlte Jugendgetränke, hingegen gestaltet sich die Suche nach Erfrischungsgetränken für Erwachsene eher schwierig. In Warschau, ebenso wie in Białystok, wo der Bahnhof gerade frisch renoviert wird. Das Bild in den Zügen ist nicht anders als zu Hause – Menschen ohne Mund und Nase. Die Garnitur in Richtung Suwałki ist am neuesten Stand, freies Internetz inklusive. Die einzige Ostromantik, die Zugführerin bekommt bei einem Aufenthalt, als Gastgeschenk der lokalen Bäuer_innen, einen Sack Äpfel. Am späten Nachmittag rollt der Zug dann doch in Augustów ein und das Tagesziel – Campingplatz, Essen, Trinken, Schlafen – rückt ein Stück näher. So der Plan. Schon die ersten Radkilometer entlarven die Probleme der kommenden Tage: In Nordost-Polen ist die Saison bereits gelaufen. Geschlossene Lokale. Geschlossene Campingplätze. Am Studzieniczne See findet sich ein Zelt-Platzerl, nur der Gastwirt ist auf Schwammerlsuche. Mit vereinten Kräften, ein polnisches Radler_innen Pärchen hat sich ebenfalls in dieser idyllischen Ecke verirrt, gelingt eine Rückholaktion. Der Wirt verspricht ein Fischmenü. Noch einmal Glück gehabt!

Tag fast vorbei, ein wilder Löwe und schlafen im gemachten Bett


  1. Tag: Sonntag, 13. September

Strecke: Nachtzug Wien – Warschau

Eigentlich ist mit der Überschrift bereits alles erzählt. Der 13. September ist auf alle Fälle kein Lieblingstag, aber das würde zu weit führen … Gut, dass er bald vorbei ist! Das Gasthaus «Wilder Löwe» serviert die letzten Drinks und das 3er-Schlafwagenabteil steht mir ganz alleine zur Verfügung. Das Bett ist bereits gemacht, die Müdigkeit ist übermächtig, in diesem Sinne – gute Nacht!