Die Rhodopen, verdrehte Willensbekundungen und eine Irrfahrt


  1. Tag: Dienstag, 28. September

Strecke: Pirin-Nationalpark – Bansko – Goze Deltschew – Dospat – Trigrad – Yagodina – Teshel – Breze

Streckenlänge: 179 km

Dem Sternenhimmel folgt ein nächtlicher Regenguß. Vom Höhenrausch zu den Mühen des Alltags. Ein neuer Tag, ein neues Gebirge. Ein Zwischenstopp in Goze Deltschew, die Stadt trägt den Namen des bulgarischen Volkshelden und Revolutionärs, ein weiterer in Dospat. Eine auch von Kühen und Pferden frequentierte Landstraße windet sich durch bergige Waldlandschaften. In den Dörfern unterwegs ersetzten Moscheen die orthodoxen Kirchen. Um die Mittagszeit brechen die Wolken und der Regen ist gekommen um zu bleiben. Es folgt eine Irrfahrt durch Rhodopenschluchten auf der Suche nach einem Bett und einer Mahlzeit. Abenteuerliche Straßen führen zu Dörfern im Ruhezustand. Dazu gesellt sich ein Verständigungsproblem, das unausgesprochene «Ja» und «Nein»: Entgegengesetzt der eintrainierten Gewohnheiten bedeutet Kopfnicken «Nein» und Kopfschütteln «Ja», was Verhandlungen nicht leichter macht. Als letzter Unterschlupf findet sich ein Gasthauszimmer im Nirgendwo.

Ein Gipfel, viele Gämsen und eine endlose Tortur


  1. Tag: Montag, 27. September

Strecke: Pirin-Nationalpark/Virhen

Streckenlänge: 11 h Wanderung

Auf vier Rädern bis zur letzten Berghütte auf 1.950 Meter. Schon die erste halbe Stunde Fußweg hat es in sich, der Wegweiser spricht von einem dreistündigen Aufstieg bis zum Virhen-Gipfel, der höchsten Erhebung im Pirin-Gebirge. Zwei Gämsen in der Ferne sorgen für den ersten Glücksmoment. Einen Bergkamm weiter sind wir umzingelt, eine Zählung der Viecher scheitert auf Grund der beträchtlichen Anzahl. Zeit zum Verschnaufen bleibt keine, die Pfade werden steiler und steiniger, die Markierungen verlieren sich. Der ultimative Aufstieg kostet die letzten Kräfte. Oben angekommen entschädigt das Panorama für alle Plagen. Unzählige 2.000er Gipfel rundherum, dem Virhen fehlen lediglich 86 Meter auf 3.000. Die einzige sichtbare Zivilisation ist der Ort Bansko weit unten im Tal. Bansko ist das bulgarische St. Anton, in den Wintermonaten tobt hier der Schi-Zirkus. Aus dem versprochenen dreistündigen Aufstieg, sind viereinhalb Stunden geworden. In der Hoffnung das Ärgste hinter sich zu haben, beginnt der Abstieg. Abseilen wäre ein geeignetes Wort, im Berghang befestigte Ketten begleiten bis zur ersten Verschnaufpause. Die Freude ist von kurzer Dauer, der Weg zurück bleibt herausfordernd. Der zunehmende Kräfteverfall wird von mitleidigen Gamsblicken begleitet. Irgendwann erscheint die rettende Hütte im Blickfeld, dort wartet das beste Bier der Welt!
Im Wirtshaus neben der Zeltwiese geht das Licht aus und ein unglaubliches Sternenzelt entschädigt für eine elfstündige Tortur. Weltklasse!

Ein Kloster, ein neues Gebirge und es gibt kan Gott


  1. Tag: Sonntag, 26. September

Strecke: Panichishte – Dupniza – Rila – Rila-Kloster – Blagoewgrad – Bansko – Pirin-Nationalpark

Streckenlänge: 192 km

Zwei Nächte am gleichen Platz sind genug. Dem gemachten Bett wird der Rücken gekehrt, das Rila-Gebirge umrundet. Rein ins nächste Tal zu einem UNESCO-Welterbe. Das orthodoxe Rila-Kloster ist als Ausflugsziel ebenso beliebt wie die Rila-Gebirgs-Seenlandschaft. Eine endlose Blechkolonne windet sich in Richtung Bethaus. Kirchgang am Sonntag. Die Parkplätze rund um das Kirchengelände sind rar, die Gemüter erhitzt. Im geistlichen Nationalheiligtum angelangt, posieren Pilgergruppen für Erinnerungsfotos. Das Kloster selbst, ist innen wie außen mit Ikonenmalerei bedeckt. In der heiligen Halle werden massenweise Kerzen verkauft, massenweise Kerzen angezündet und das demütige Volk bittet scheinheilig um ein besseres Leben. Das atheistische Herz gerät in Wallungen und Sigi Maron betritt die Bühne: «Waun du brav bist in dein Lebm wirst irgendwaun amoi belohnt … glaub ma Bruada, glaub ma, es gibt kan Gott!»
Es bleibt bei einem Kurzbesuch und «Gott» wird gegen ein «Gebirge» getauscht. Ein neues Gebirge, das Pirin-Gebirge im gleichnamigen Nationalpark. Heute endlich wieder eine Nacht im Mobilheim, diesmal auf 1.800 Meter. Die gute Nachricht, der Zeltwiese ist ein Wirtshaus angeschlossen.

Kaiserwetter, Völkerwanderung und eine unglaubliche Gipfel-Seen-Landschaft


  1. Tag: Samstag, 25. September

Strecke: Panichishte/Rila-Gebirge

Streckenlänge: 8 Stunden Wandertag

Rila ist der größte Nationalpark Bulgariens mit unzähligen Trichterseen und nach jeder Schneeschmelze werden es mehr.
Die Pionerska-Hütte gilt als gemütlichster Einstieg in’s Rila-Universum, ein Sessellift führt auf rund 2.000 Meter zur Rila-Hütte. Der Himmel strahlt in ungetrübtem Blau und gefühlt halb Sofia hat denselben Einfall: den Samstag in der Natur zu verbringen. Die Völkerwanderung beginnt auf perfekt angelegten Pfaden die sich den Berg hinauf winden. Alle sind unterwegs Vater, Mutter, Kinder, auch die Oma und der Schoßhund sind mit dabei. Die sieben bekanntesten Seen, jeder hat seinen Merkmalen entsprechend einen eigenen Namen, liegen stufenartig verteilt zwischen 2.095 und 2.535 Metzer über dem Meer. Schon der erste See löst Begeisterung aus, unzählige Mobiltelefone schießen unzählige Selfies. Die Ausblicke werden immer bizarrer, neben einer unglaublichen Weitsicht erscheint ein See nach dem anderen im Blickfeld. Fotografisch ohne ein Weitwinkel-Objektiv nicht einzufangen. Bei jedem See fallen einzelne Familienverbände ab um ihre mitgebrachte Jause auszubreiten. Am zentralen Aussichtspunkt treffen alle wieder zusammen. Seen und Gipfel so weit das Auge reicht, von einer nahegelegenen Spitze bläst ein «Highländer» seinen Dudelsack, die Menge weit unterhalb applaudiert. Weiterführende Pfade verabschieden sich vom Trubel, irgendwann ist niemand mehr da, nur weitere spektakuläre Ausblicke. Die Wege werden steiniger, die Auf- und Abstiege steiler und die Zeit bis zur letzten Seilbahn knapper. Es geht sich alles aus, die Glücksgefühle werden mit Alkohol verstärkt und im Finale winkt die Aussicht auf ein Abendessen. Als Draufgabe wird im einsichtigen Nebenzimmer ein Kindergeburtstag gefeiert, die Kleinen schlafen schon, die Großen tanzen Hand in Hand Ringelrei zu orientalisch-bulgarischen Klängen!

Genosse Dimitroff, Alexander Newski und das Rila Gebirge


  1. Tag: Freitag, 24. September

Strecke: Trnski Odorovci – Dimitrovgrad (SRB) – Dragoman (BG) – Sofia – Dupniza – Panichishte

Streckenlänge: 187 km

Die Jerma begleitet uns zurück ins Tal, wenige Kilometer östlich wartet Dimitrovgrad als letzte Jausen-Station vor der bulgarischen Grenze. Die Kleinstadt verdankt ihren Namen dem bulgarischen Kommunistenführer Georgi Dimitroff. Der Georgi kann auch mit einem Wien-Bezug aufwarten, auf Grund von internen Grabenkämpfen innerhalb der KPÖ, wurde er unter seinem Decknamen «Oswald» vorübergehend Parteivorsitzender. Eine Tafel am St.-Elisabeth-Platz in Wien-Wieden gedenkt dem bulgarischen Politiker.
Die erwartete Autobahn nach Grenzübertritt wird gerade ausgebaut und die dazugehörige Baustelle sorgt für Unmut. Vom Baustellenstau in den Großstadtstau. Die bulgarische Hauptstadt vor dem Fenster lässt sich ein kleiner Ausflug nicht abschlagen. Gemeinsam mit der Blechlawine rein in’s Getümmel, eine Ehrenrunde um das Wahrzeichen, die Alexander-Newski-Kathedrale und gemeinsam mit 1.000 Anderen wieder raus aus der Stadt.
Rila Gebirge erscheint im Blickfeld und zeigt sich mit einem kleinen Schneehäubchen. Morgen wartet ein Wandertag zu den Rila-Seen auf über 2.000 Meter, das Dorf Panichishte ist Ausgangspunkt und Nachtlager für die morgige Tour.

Prärie, Bergwelten und ein gemachtes Bett


  1. Tag: Donnerstag, 23. September

Strecke: Camp St. Mokranjac – Zaječar – Knjaževac – Pirot – Trnski Odorovci

Streckenlänge: 210 km

Auch diesmal gibt es einen geneigten Mitesser am Frühstückstisch. Der heutige Tag ist als Zubringertag geplant, ohne übersteigerte Erwartungen an die Strecke, mit einem Zeltplatz nahe der bulgarischen Grenze. Bis nach Knjaževac schraubt sich eine einzige Landstraße durch großteils unbewohnte hügelige Provinz. Felder, Buschlandschaften, Prärie, am Horizont bauen sich Bergwelten auf. Einziges Handicap am Weg, unzählige Straßenbaustellen, der zu bewältigende Untergrund hat es dringend nötig. Die wenigen Kleinstädte unterwegs besitzen alle die gleichen Merkmale: Stadtkerne im sozialistischen Baustil, ansonsten ein architektonisches Allerlei. Ab Knjaževac sind die Bergwelten erreicht und die Fahrt Richtung Pirot strotzt vor wildromantischen Reizen. Die Straße, wieder ein rumpeliger Fleckerlteppich, führt durch Natur pur, die spärlich eingestreuten Dörfer wirken nur auf der Durchreise idyllisch. Pirot liegt an der alten Orientexpress-Strecke, der Verbindung von Paris nach Istanbul.
Der Jerma-Fluss mäandert im serbisch-bulgarischen Grenzbereich, das angepeilte Nachtlager versteckt sich in der Jerma-Schlucht. Angekommen am angepeilten, von Mr. Google vorgeschlagenen Punkt, weiß niemand etwas von einem Campingplatz. Glück im Unglück, es findet sich ein gemachtes Bett in Reichweite, ein serviertes Abendessen inklusive. Hvala! Živeli!

Ein Rumänien-Ausflug, Ethno-Schlager und immer lockt der Schdrom


  1. Tag: Mittwoch, 22. September

Strecke: Bela Crkva (SRB) – Socol (RUM) – Orșova – Kladovo (SRB) – Kusjačka – Camp St. Mokranjac

Streckenlänge: 269 km

Zwei ungebetene Frühstücksgäste, einer mit langen, einer mit kurzen Haxen, sind nicht abzuschütteln …
Gleich zu Tagesanbruch eine neuerliche Grenzüberschreitung, auf Serbien folgt Rumänien. Der heutige Tag gehört einzig und allein der Donau, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, dazu liefert der lokale Radio-Sender die passende Begleitmusik: Herzzerreissenden Ethno-Schlager, gequetscht, geblasen, samt schmachtender Stimmen.
Einzig Beleuchtung und Thermometer wollen nicht mitspielen: Dunkle Wolken bei satten 14 Grad. Das rumänische Donauufer ist über weite Strecken unbewohnt, erst ab Dubova beginnt das Leben am Fluss. Rumänien bleibt ein Tagesausflug kurz nach Orșova führt eine Brücke über das Kraftwerk «Eisernes Tor» zurück auf serbischen Boden. Der Schdrom begleitet uns weiter, diesmal auf der Herzseite, bis zum einsamen Mikro-Campingplatz direkt am Fluss. Nur die Temperaturskala wandert weiter in die falsche Richtung und es wartet eine Nacht mit einstelligen Gradwerten …

Slivo, Verkehrschaos und eine Oase


  1. Tag: Dienstag, 21. September

Strecke: Orašac – Obrenovac – Belgrad – Pančevo – Kovin – Bela Crkva

Streckenlänge: 186 km

Zum Frühstück serviert die Campingplatzbetreiberin Feigen, dazu einen Slivo. Živeli! Eine Dörfer-Tour führt über Obrenovac die Save entlang Richtung Belgrad. Rein in’s Verkehrschaos, eine Runde durch die serbische Metropole und schnell wieder raus. Zu Füßen der Belgrader Burg vermischt sich die Save mit der Donau auf ihrem Weg ins Schwarze Meer.
Über die Donau zurück in die Vojvodina, über Pančevo Richtung dem letzten serbischen Außenposten kurz vor der rumänischen Grenze. Einspurige Landstraßen führen durch steppengleiche Landstriche. Auch eine geringe Kilometerleistung erfordert einen maximalen Zeitaufwand. An einem See nahe Bela Crkva werden die Zelte aufgeschlagen. Das Camp Oaza, immer wieder eine willkommene Zwischenstation.

Ein verwundeter Turm, ein schwimmendes Reh und ein neuer Fluss


  1. Tag: Montag, 20. September

Strecke: Bezdan (SRB) – Apatin – Vukovar (CRO) – Ilok – Sremska Mitrovica (SRB) – Šabac – Orašac

Streckenlänge: 235 km

Gestern war alles noch sehr weitläufig, heute präsentiert sich ein enges Blickfeld. Über der Donau liegt eine dichte Wolkendecke, das gegenüberliegende kroatische Ufer ist unsichtbar. Dicke Regentropfen klopfen einen gleichmäßigen Rhythmus. Einen Grenzübergang weiter auf kroatischer Seite lassen die Schauer nach, der bedeckte Himmel bleibt. In Vukovar werden die offensichtlichen Wunden des Kroatienkrieges (1991-1995) von Jahr zu Jahr weniger, gänzlich verschwinden werden sie noch lange nicht. Auf den Wasserturm von Vukovar, dem Wahrzeichen der Stadt, fährt ein Lift bis zu einer Aussichtsplattform. Die Außenwände sind noch immer zerschossen, im Inneren führen Metallstege durch den hohlen Raum. Monitore mit bewegten Bildern holen den Wahnsinn des Krieges noch einmal in die Gegenwart. Oben auf weht eine überdimensionale Kroatien-Flagge. Mobiltelefone klicken, halten die Erinnerung fest. Sich umarmende Paare wischen sich Tränen aus den Augenwinkeln. Gänsehaut breitet sich aus.
Weiter die Donau entlang in Ilok flüchtet ein aufgeschrecktes Reh über den breiten Fluss an das serbische Ufer. Noch einmal wird die Grenze überschritten. Zurück in Serbien werden die Flüsse getauscht, auf die Donau folgt die Save. Nahe Šabac findet sich ein verwunschener Campingplatz und das Mobilheim versteckt sich zwischen Wal- und Haselnussbäumen.

Rauschendes Fest, grauer Asphalt, liebstes Platzerl


  1. Tag: Sonntag, 19. September

Strecke: Wien Wasserwiese – Bezdan (SRB)

Streckenlänge: 448 km

Der Augustin feierte mit Freund_innen sein «25+1-Jahres-Fest» in der Wiener Arena. Auch der Chor der Straßenzeitung durfte nach einem Jahr Zwangspause wieder einmal auf die Bühne und zelebrierte sein «20+1-Jahres-Jubiläum». Im finalen Gefühlsrausch verschmolz das Publikum mit dem Stimmgewitter zu einer einzigen Stimme und hunderte Schnäbel zwitscherten: «Halt dich fest, an deiner Liebe!»
Der Kater nach dem Fest lässt sich bis zur Mittagszeit wegstreicheln. Auf eine harte Woche folgt die Aussicht auf eine entspannte Stadtflucht. Das Ziel der Reise ist nicht genau definiert, was fest steht ist: Richtung Südost, Richtung Bulgarien, Richtung Schwarzes Meer. Auf der Suche nach ausufernden Flusslandschaften, weitläufigen Bergwelten, einsamen Gegenden.
Der unvermeidliche Anfahrtsweg will schnell bewältigt werden, rauf auf’s graue Band, durch Ungarn durch, rein nach Serbien, zum ersten Sehnsuchtsplatzerl, der Pikec Čarda nahe Bezdan, direkt am Schdrom. Das Bild spricht mehr als tausend Worte!