Pleiten, Pech und Kuriositäten am laufenden Band


  1. Tag: Sonntag, 02. Juli 2023

Strecke: Kutaissi – Gelati – Zestaphoni – Katskhi – Chiatura – Gori

Streckenlänge: 213 km (gesamt 4.583 km)

Nicht immer soll dem Reisebuchbegleiter vertraut werden. Das in den Himmel geschriebene Kloster Gelati, nur einen Steinwurf von Kutaissi enfernt wird der Lobschreiberei nicht gerecht, außerdem verschwindet es gerade hinter grobem Gerüst. Als Kuriosum geht das Katskhi-Kloster durch. Das vielleicht kleinste Kloster Georgiens sitzt hoch oben auf einer in die Lüfte ragenden Felssäule. Ein ehemals lasterhafter Mensch hat all den verlockenden Ausschweifungen entsagt und lebt seither als Einsiedlermönch auf diesem Hochstand. Die Verpflegung erfolgt mittels Seilzug.
Nächster Stopp die ehemalige Bergbaustadt Chiatura. Stalin erklärte die Stadt einst zum Arbeiterparadies und schenkte ihr eine Stalin-Friedens-Seilbahn. Der ebenfalls vom Reisebuchbegleiter versprochene Nervenkitzel, bei der Fahrt in einer der museumsreifen Kabinen, fällt ebenfalls aus. Frisch renovierte Gondeln ersetzen die ehemaligen „Stalin-Särge“.
Zwischendurch versteckt sich eine Busstation aus vergangenen Tagen. Endstation ist die Kleinstadt Gori mit seiner bröckelnden Festung und dem meistbesuchten Museum des Landes. In Gori erblickte der Georgier Josef Dschugaschwili das Licht der Welt. Nach Jahren in der Priesterschule und als Gangsterboss wurde er zum Revolutionär und später unter dem Kampfnamen „Stalin“ zum Massenmörder. Vor seinem Museum darf der Diktator noch lässig herumstehen, das andere, über dimensionale Stalin-Denkmal vor dem Rathaus wurde 2010 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entsorgt. Trotzden tragen sowohl der Platz als auch Straße noch seinen Namen. Georgien weiß nicht so Recht umzugehen mit dem missratenen Sohn.
Der Jugend ist der Joseph wurscht, die feiert und trinkt auf einer Dachterrasse in der Altstadt. Ab der erreichten Betriebstemperatur wird auf georgisch zu Gangsta-Beats gerappt.

Bergriese, durch eine bucklige Welt und eine Wohlfühl-Hauptstadt


  1. Tag: Samstag, 01. Juli 2023

Strecke: Ushguli – Kutaissi

Streckenlänge: 281 km (gesamt 4.370 km)

Die meisten Besucher_innen haben Ushguli bereits am Abend verlassen. In den Morgenstunden wirkt das Bergdorf ausgestorben und auch die Sonne ist wieder zurück. Eine heilige Ruhe im Wolkendorf. Beim zeitigen Spaziergang glänzt der schneebedeckte Shkhara mit seinen 5.203 Metern in voller Pracht.
Es beginnt das Abenteuer Rückreise, der gestrige Regen hat die Situation auf der Schlammpiste zusätzlich verschärft.
Inzwischen gehören die Kuhherden auf den Straßen zum Alltag. Zurück in Megrelien ist die große Tierfamilie wieder auf den Fahrspuren versammelt. Auf verschlungenen Wegen geht es durch eine üppig grüne Hügellandschaft. Es zeigen sich erste Weinreben, Georgien gilt als Wiege des Weinanbaus. Ein heftiges Gewitter weiter liegt an den Ausläufern des Großen Kaukasus, am Fluss Rioni, die Hauptstadt Imeretiens. Kutaissi, der ehemals große Konkurrent Tbilissis wurde inzwischen auch von Batumi überholt und ist nunmehr drittgrößte Stadt des Landes. Das befürchtete Chaos bleibt aus: Zerstreuung im Stadtzentrum, ein Erfrischungsgetränk unter der Weißen Brücke über dem Rioni, in einer klapprigen Seilbahngondel hinauf auf den Hausberg der Stadt. Oben dreht sich ein Riesenrad, daneben serviert ein Ausflugslokal wunderbare Hausmannskost.

Ein Schlammpfad, ein Unwetter und ein Bergdorf nahe dem Himmel


  1. Tag: Freitag, 30. Juni 2023

Strecke: Mestia – Ushguli

Streckenlänge: 41 km (gesamt 4.089 km)

Die Kilometerleistung nach Ushguli ist eine klägliche, die Anstrengungen hingegen sind heroisch. Ab Kala wird die Situation haarig, der bucklige Asphalt verschwindet gänzlich und ein Schlammpfad nimmt seinen Lauf: Tiefe Erdlöcher, Bauarbeiten verengen die ohnehin enge Fahrspur, dem nicht genug, kreuzt ein Fluss den Weg. Die letzten zehn Kilometernehmen verschlingen eine volle Stunde. Die Ortstafel lässt aufatmen. Ushguli ist auf 2.200 Metern eines der höchstgelegenen noch bewohnten Bergdörfer Europas/Asiens (eine ewige Streitfrage, ist Georgien noch Europa oder schon Asien), eingerahmt von saftigen grünen Hügeln und schneebedecken Bergspitzen. Die Häuser sind aus Stein und unzählige Wehrtürme stemmen sich in den Himmel. Kühe drängen sich durch die unbefestigten Gassen und hinterlassen ihre Spuren.
Der letze blaue Fleck am Himmel verschwindet, die Wolken werden dichter und dunkler bis ihnen der Kragen platzt. Das Unwetter ist gekommen um zu bleiben. Die Zeit wird mit hervorragenden georgischen Rotwein über die Runden gebracht. An Zeltaufbau ist nicht zu denken und es findet sich ein Guesthouse wo auch gekocht wird. Das Abendessen wird im Familienwohnzimmer serviert. Der Fernseher läuft, die Tochter des Hauses verliert sich in einer Seifenoper, später muss sie sich um die Milch kümmern und der Opa übernimmt das Sofa. Wettermäßig ist keine Besserung in Sicht und so werden schon bald die Augen geschlossen.

Wasserfälle, Berggipfel und Wehrtürme


  1. Tag: Donnerstag, 29. Juni 2023

Strecke: Anaklia – Sugdidi – Mestia

Streckenlänge: 223 km (gesamt 4.048 km)

Von Mingrelien nach Swanetien, vom Meeresniveau in die luftigen Höhen des Großen Kaukasus. Mingrelien die nordwestlichste Region Georgiens gleicht einer großzügig angelegten Schrebergartensiedlung, durchzogen von Straßen und Flüssen, mit eigenem Meerzugang. Swanetien ist spartanischer, weniger Dörfer, weniger Straßen, viel mehr Gegend, umringt von hohen schneebedeckten viertausender Gipfeln. Nach Mestia, der Hauptstadt Swanetiens führt nur eine einzige Straße und selbst diese ist auf Grund ihres Zustandes nicht zügig befahrbar. Unterwegs sorgen Wasserfällle für Erfrischung und angriffslustige Hähne für Aufregung. Mestia ist eine aus mehreren Dörfern zusammengewachsene Kleinstadt, besitzt 42 Wehrtürme und ist Ausgangspunkt vieler Wanderungen und Touren. Das Symbol Swanetiens sind seine Wehrtürme, die seine Bewohner_innen vor Eindringlingen und vor lokalen Fehden schützten. Die Swaneten gelten als sehr wehrhaftes Volk, sogar die Mongolen sollen sich an Ober-Swanetien die Zähne ausgebissen haben, nur der Tourismus hat es inzwischen geschafft die Region zu erobern.
Für morgen ist eine Ausfahrt in das swanetische Bergdord Ushguli geplant, so es die Straße zulässt.

Waschtag, Wein und Gesang


  1. Tag: Mittwoch, 28. Juni 2023

Strecke: Anaklia

Anaklia bei Tageslicht präsentiert sich als krasser Gegenpol zu Batumi. Wenige Straßen, wenige Menschen, vereinzelt Unterkünfte, eine zentrale Hotelruine, ein menschenleerer Strand und eine überdimensionale Rad-/Fußgängerbrücke. Der richtige Ort für einen Wäschewasch- und Regeneriertag. Alkoholische Erfrischungsgetränke werden auch wieder serviert, die Lage entspannt sich.
Einen Steinwurf entfernt befindet sich die georgische Grenze zu Abchasien. Nach dem Zerfall der Sowietunion spaltete sich Abchasien nach einem einjährigen Krieg von Georgien ab und erklärte sich unabhängig. Heute leidet Abchasien unter seiner Allianz mit Russland.
Ein unscheinbares Straßenlokal sorgt für einen rundum gelungenen Tagesausklang. Zum ersten Mal eintauchen in die vielgerühmten georgischen Kochkünste, dazu sorgt eine Männer-Runde am Nachbartisch für die musikaliche Begleitung.

Arschlöcher aller Länder, nix Erleichterung und ein bunter Zoo


  1. Tag: Dienstag, 27. Juni 2023

Strecke: Giresun – Trabzon – Rize (TR) – Batumi (GE) – Poti – Anaklia

Streckenlänge: 489 km (gesamt 3.825 km)

Das türkische Abenteuer steht kurz vor seinem Abschluss, aber noch ist es voll im Gange. In den Vormittagsstunden verdauen die Ortsansässigen noch den vorangegangenen Tag und die Räder rollen im angenehmen Reisetempo. Auch in der Schwarzmeer Metropole Trapzon gibt es keinen beredenswerten Stillstand. Die Herausforderungen beginnen kurz nach Rize, der Geburtsstadt des vor kurzem wiedergewählten Landesvaters. LKW-Kolonnen reduzieren die Fahrspuren, eine Einzige führt zur bombastischen Grenzanlage, die Reibereien beginnen. Missverständnisse und beiderseitige Sprachbarrieren führen fast zum Eklat. Vor dem Grenzübertritt werden die Beifahrer_innen vom Fahrzeug verbannt und müssen in Massen zu Fuß, über einen riesigen Terminal, die Landesgrenze überschreiten. Die Fußgänger_innen leiden im Gebäude die Fahrer_innen in ihren Vehikeln. Eine Schikane reiht sich an die nächste, unerklärte Strafen werden zähneknirschend bezahlt, Stunden vergehen. An den Grenzstellen konzentrieren sich die größten Arschlöcher des jeweiligen Landes. Ein nächstes steinhartes Training für die eigene Gelassenheit.
Irgendwann ist die Türkei überwunden, aber die ersten georgischen Hürden lassen nicht lange auf sich warten. Batumi präsentiert sich als chaotischer, moderner Hochhauskessel, die Fahrgewohnheiten überschreiten alles bisher erlebte. Blechkadaver mit fehlenden Karosserieteilen missachten selbst die eindeutigsten Verkehrsbenimmregeln – Anarchie pur!
Batumi im Rücken beruhigt sich die Situation, ein vergleichsweise exotisches Hindernis sind die ganzen Viecher auf der Straße: Kühe, Ziegen, Schweine, Pferde, …, der ganze Bauernhof. In Anaklia, einem Dorf an der Küste im Norden, ist das Tageslicht bereits erloschen. Ein letztes noch offenes Hotel sorgt für Asyl. Morgen wartet ein verdienter Ruhetag!

Speerspitzen, Wildschweine und der alltägliche Wahnsinn


  1. Tag: Montag, 26. Juni 2023

Strecke: Cide – Kastamonu – Gerze – Samsun – Giresun

Streckenlänge: 629 km (gesamt 3336)

Um vier Uhr früh läutet der Wecker, einen schnellen Gaskocher-Kaffee und die Sitze wieder in die aufrechte Position bringen. In den frühen Morgenstunden verstecken sich die Küstenberge noch in dichten Dunstwolken und bei Sonnenaufgang sind die Straßen noch wie leergefegt.
Im küstennahen Hinterland zeigt sich die Landschaft fast wie zu Hause, bergige Straßen und viel Nadelholz. Den Unterschied machen die Speerspitzen Allahs, die zwischendurch wie Stachel aus der Umgebung stechen. Trinkbrunnen unterwegs sorgen für einen geregelten Wasserhaushalt, leider ist jede Tankstelle auch gleichzeitig ein Müllablagerungsplatz. Richtige Wildschweine, von denen unterwegs auf Hinweisschildern auch regelmäßig gewarnt wird.
Ab Gerze glitzert wieder das Schwarze Meer und ab Samsum tobt wieder die anscheinend ganz normale türkische Verkehrshölle. Stopp and Go bis zum Zielhafen in Giresun. Im Blickfeld: Linke Seite das Meer, in der Mitte die Schnellstraße und rechts türmen sich über weite Strecken Betonbunker. In Giresun wartet wieder ein gemachtes Bett. Auf einem Hügel bei einem Çay, dem bevorzugten türkischen Erfrischungsgeränk, beruhigen sich die Nerven. Auf Meeresniveau drägen sich weiterhin die Stoßstangen, in luftigen Höhen mischt sich der Muezzin in den allgegenwärtigen Alltagslärm. Die Erholung bleibt vorerst noch in der Warteschleife …

Hölle, Hölle, Hölle


  1. Tag: Sonntag, 25. Juni 2023

Strecke: Şile – Amasra – Cide

Streckenlänge: 555 km (gesamt 2707 km)

Die unendlichen Weiten der Türkei werden sträflich unterschätzt. Vier Spuren führen vorbei an Metropolen wie Izmit und Ankara. Dazwischen türmen sich die Trabantenstädte. Der türkische Verkehrsstil fordert sein Opfer und erzeugt Megastaus. Wasserverkäufer flanieren durch die Blechlawine, manche bauen zwischen den Fahrspuren ihren Stand auf.
Der Pannenstreifen dient als Mehrzweckstreifen: Er wird als Parkplatz, zusätzliche Fahrspur und Überholspur verwendet, es wird gepicknickt, alkoholfrei getrunken, geraucht und gebetet. Am Ende des Tages erstickt er im Müll.
Die Autobahnstationen bieten nicht nur Treibstoff und Verpflegung, sondern sind durch zahlreiche Geschäfte und Attraktionen zu Event-Burgen gewachsen.
Die Autobahn wird zum Familien-Ausflugsziel.
Es folgt Stau auf Stau, Stunden werden verschwendet, bis zum Entschluss den Highway zu verlassen und auf die Landstraße umzusteigen. Es wird bis in die späte Nacht gefahren um eine halbwegs herzeigbare Kilometerleistung für einen 14-Stunden Fahrtag zu erreichen. Mit dem Ziel: So schnell wie möglich raus aus der Türkei und rein nach Georgien!
Der heutige Hafen heißt Cide, erblicken lässt es sich nicht das Meer, alles schwarz, nur hören. Der Zeltaufbau wird abgesagt, heute muss das Automobil für wenige Stunden als Schlafplatz herhalten.

Asien, Alkoholen und Rindfleisch am Strand


  1. Tag: Samstag, 24. Juni 2023

Strecke: Tsarevo (BG) – Kirklareli (TR) – Istanbul – Şile

Streckenlänge: 391 km (gesamt 2.152 km)

Heute wartet die Türkei am Weg in Richtung Georgien, die Fahrstreckenhalbzeit ist bereits überschritten.
Hügel rauf und Hügel runter führt eine mit Löchern übersäte, bewaldete Landstrasse zur bulgarisch-türkischen Grenze. Keine Menschen, keine Fahrzeuge, vereinzelt Häuser und nur die Tierwelt meldet sich aus der verwachsenen Umgebung. Einziger Kontakt, eine Kontrolle durch die Fremdenpolizei und nach dem Austausch von Freundlichkeiten wartet wieder die Einsamkeit der Rumpelstrasse.
Ein kleiner Grenzübergang schützt nicht vor überlangen Wartezeiten. Mit dem Grenzübertritt ändert sich auch die Landschaft, statt Urwäldern dominiert Stein und Buschwerk, nur das Hügelige bleibt bis Kirklareli. Es folgt die Eintönigkeit der Autobahn, zu viele Kilometer sind noch ungefahren. Istanbul wird rechts liegen gelassen, ein kurzer aufregender Zwischeneindruck ist die Überquerung des Bosporus, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet. Baba Europa, Servus Asien. Die Disziplin auf der Straße verfällt, es wird kreuz und quer überholt. Die Abfahrt von der Schnellstraße bringt Erleichterung. Bei Şile findet sich auf einer Anhöhe ein einfacher Zeltplatz direkt am Meer. Freilaufende Kühe verirren sich bis auf den Sandstrand und der Wellengang ist beachtlich.
Die ersten Erfrischungsgetränke bleiben promillefrei und die Versorgung mit Bier/Wein kostet einige Zusatzkilometer. Das Strandasyl kann mit keinem Imbiss aufwarten und so stehen Sackerl-Spaghetti vom Gaskocher statt Kebab auf der Speisekarte. Die neue Nachbarschaft ist besser ausgerüstet und grillt mit Stirnlampe bis in die Dunkelheit. Trotzdem, die Wellen rauschen, es weht eine angenehme Brise und die Freuden überlagern die Anstrengungen.

Balkangebirge, einmal quer durchs Land und ein gemachtes Bett mit Ausblick


  1. Tag: Freitag, 23. Juni 2023

Strecke: Belogradtschik – Sofia – Burgas – Tsarevo

Streckenlänge: 635 km (gesamt 1.761 km)

Weiter, weiter, über das Balkangebirge drüber, vorbei an Sofia und rauf auf den Highway Richtung Schwarzes Meer. Einmal quer durch Bulgarien vom nordwestlichsten in den südöstlichsten Zipfel. Ein ganzer Tag am Gaspedal.
Ab Burgas ist das Schwarze Meer in Sichtweite. In Tsarevo angekommen beginnt die herausfordernde Suche nach einem Zeltplatz. Ein klassischer Campingplatz mit Stellplatz für Zelt und Fahrzeug ist nach mehrfachen Anfahrten nicht aufzutreiben, alles verhüttelt, dicht an dicht und so steht das Bett diesmal in einem gemauerten Haus direkt am malerischen Fischerhafen. Ein Balkon mit Meerblick und ein Restaurant zu ebener Erde direkt am Wasser entschädigen für die Strapazen des Fahrtages. Die Club-Musik vorm Fenster tönt noch als der letzte Schluck getrunken und die Augenlider gefallen sind.