Osmanische Brücken, aufreibende Nebenrouten und Zauberflüsse


4. Tag: Mittwoch, 3. Juli 2024

Strecke: Blidinje jezero – Jablanica – Konjic – Kalinovik – Foča

Streckenlänge: 226 km (gesamt 1.099 km)

Der blaue Himmel ist zurückgekommen, der Sturm ist geblieben. Auch unser entfernter Nachbar hat sich inzwischen aus dem Staub gemacht …

Dem Blidinje-See folgt der Jablanica-See, ein Stausee der Neretva, ein weiterer bosnischer Zauberfluss. Nicht nur Mostar auch Konjic kann mit einer Brücke aus osmanischen Zeiten über die Neretva beeindrucken.

Ab Konjic wird auf eine Neben-Nebenstrecke gewechselt, des Naturerlebnisses wegen. Die „Regionalstaße 436“ erweist sich vorläufig als beste Route, das Navi wehrt sich heftig. Die anfänglichen Freuden enden unangekündigt abrupt, aus schlechtem Asphalt wird eine nervenaufreibende Steinschlag-Piste. In quasi Schrittgeschwindigkeit werden die folgenden 25 Kilometer überwunden …!

Auch innerhalb Bosniens werden immer wieder die Grenzen zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska gewechselt. Wo man sich gerade befindet,  davon zeugen die jeweiligen Flaggen, Gotteshäuser oder Schirme der vorherrschenden Biermarke.

Bei Foča mischt sich ein neuer Zauberfluss ins Geschehen, die Drina. An ihrem Ufer wird für heute der Motor abgestellt.

Abkühlung, Bergkulissen und ein Häuschen am See


3. Tag: Dienstag, 2. Juli 2024

Strecke: Kulen Vakuf –  Drvar — Livno — Tomislavgrad – Blidinje jezero

Streckenlänge: 222 km (gesamt 873 km)

Das nächtliche Gewitter hat die Temperaturen ordentlich heruntergekühlt.

Eine von Fahrzeugen befreite Nebenroute führt durch bosnische Bergwelten. Zwischendurch erinnern immer wieder Ruinen an den kriegerischen Zerfall Jugoslawiens vor 30 Jahren. In Livno werden die dicksten mitgeführten Jacken ausgepackt, inzwischen zeigt das Thermometer herbstliche 15 Grad.

Hinweistafeln warnen vor Wildpferden. Leider sind die Biester sehr scheu und entziehen sich unseren Blicken. Der Blidinjsko jezero ist die heutige Endstation, der See ist Teil des Blidinje-Naturparks und mit seinen 1.173 Höhenmetern der größte Bergsee Bosniens. Es weht ein stürmischer Wind über das Hochplateau. Der urige Campingplatz ist sehr rudimentär ausgestattet: ein Mobil-Klo, eine ebensolche Dusche, eine Blechhütte mit Küche und einem gut befüllten Kühlschrank. Bezahlt wird selbstständig in eine Box. Der Andrang hält sich in Grenzen, nur zwei Vehikel allein in unberührter Natur!

Die bosnischen Bergen sind (zum Glück) WLAN-frei, was gleichbedeutend ist mit: keine Infos zum Österreich-Türkei-Match ;-)! Die Nachrichten vom Spielstand kommen per SMS,  leider schlechte, trotzdem Dank an Philipp!

Zauberhafte Una


2. Tag: Montag, 1. Juli 2024

Strecke: Šimunčevec – Zagreb – Petrinja – Hrvatska Kostajnica (HR) – Kostajnica (BiH) – Novi Grad – Bosanska Krupa – Bihać – Kulen Vakuf

Streckenlänge: 252 km (gesamt 651 km)

Die ersten Kilometer lassen keinen Platz für Romantik. Rund um Zagreb staut sich das Blech, etwas später trennt sich die Spreu vom Weizen. Die Mehrheit biegt ab Richtung kroatischer Küste, vereinzelte Vehikel rollen nach Süden, Richtung bosnischer Grenze. Ab Petrinja ist die Welt wieder in Ordnung, eine ruhige Landstraße schlängelt sich durch hügelige Landschaft und kleine Dörfer. Auffallend, Kroatien hat eine Vorliebe für die unverputzte  Rohziegelbauvariante.

Die Una drängt sich ins Geschehen. Sie entspringt im südlichen Kroatien, markiert über weite Strecken die Grenze Bosniens zu Kroatien und mündet im Norden bei Jasenovac in die Save. Ein Traum von einem Fluss, mal ruhig plätschernd, mal heftig rauschend, mit unzähligen Katarakten in allen Ausformungen, Stromschnellen, Inseln, Verästelungen, … 

Südlich von Bihać gehört ihr ein ganzer Nationalpark, wo sich auch die fahrende Bettenstation einparkt.

Die Drina, eine geschichtsträchtige Brücke und eine zweifelhafte Fantasiestadt


9. Tag: Dienstag, 25. September

Strecke: Foča – Goražde – Višegrad – Bajina Bašta – Vrhpolje

Die Fühtemperaturen erreichen wenige Grade über Null, alle verfügbaren Schichten werden angelegt. Ein erdiges Frühstück gibt neue Energien.
Der heutige Tag führt von Licht an bis Licht aus entlang der Drina. Die erste Station ist Goražde, nach dem Ende des Bosnienkrieges (1992 – 1995) die einzige mehrheitlich von Bosniaken bewohnte Stadt an der Drina. Višegrad, keine 40 Kilometer entfernt hat in seiner jüngeren Geschichte wenig Ruhmreiches zu berichten. Die Stadt lebt bis heute von seiner einzigartigen Brücke (seit 2007 UNESCO-Weltkulturerbe) und dem dazugehörigen Roman (Ivo Andrić, «Die Brücke über die Drina»). Nur, von der einst multikulturellen Stadt ist nichts mehr übrig. Die letzte Aufregung die zweifelhafte Attraktion «Andrićgrad», eine vom serbischen Regisseur Emir Kusturica künstlich aus dem Boden gestampfte, 2014 fertiggestellte Fantasiestadt. Ausgerechnet auf dem Gelände eines Sportzentrums das einst als Internierungslager für bosnische Muslim_innen genutzt wurde.
Wir verlassen Bosnien in Richtung Serbien, durchqueren den wildromantischen Tara-Nationalpark und landen wieder an der Drina, die ab sofort bis zu ihrer Mündung in die Save die Grenze zwischen Bosnien und Serbien markiert. Auch heute werden die Zeltbetten an der Drina gemacht, auf dem Gelände des «Etno Selo Vrhpolje», einem «Wunder-Wirtshaus» direkt am Fluss. Eine «Maximum-Grillplatte» und nix geht mehr, außer «Laku noć» (Gute Nacht)!

Muezzin, Temperatursturz und eine Kleinstadt namens Gacko


8. Tag: Montag, 24. September

Strecke: Mostar – Gacko – Foča

Zerrissenes Mostar: Wenn der Muezzin ruft, schalten manche Lokale die Musik lauter, andere schalten sie ab. Die Brücke hat sich geleert, der Mond über ihr ist im Zunehmen, wir sitzen ihr gegenüber und die Kalbsleber schmeckt hervorragend!
Weiter geht die Reise in Richtung Foča, wieder einmal über bergiges Gelände. Von gestern auf heute hat es um satte 23 Grad auf frostige 9 Grad abgekühlt. Die Kleinstadt Gacko präsentiert sich so wie ihr Name klingt: Kohletagebau rundherum, ein dazugehöriges Kraftwerk, marode Häuser, ein desolater Busbahnhof, einzig das Kriegerdenkmal und die othodoxe Kirche glänzen. Dazu gibt es orkanartige Windböen sowie Starkregen. Dober dan Tristesse! Wir finden im «Downtown Pub Gacko» Unterschlupf. Montags zur Mittagszeit, das Bierlokal ist bummvoll, alles junge Menschen, die Frauen allesamt aufgedonnert, die Burschen in erster Linie cool. Alles sehr bizarr, kein Ort um Wurzeln zu schlagen …
Nach einer Woche Sommer sind wir abrupt im Spätherbst angekommen, tiefliegende Wolken, Dauerregen. Auf den gewundenen Straßen trotten unbegleitete Kühe und lange unbeleuchtete Tunnel graben sich durch Bergwelten.
Die Liebste hat einen neuen Sport – Bildbeschreibungen während der Fahrt. Das ist wie Fernsehen für sehbeeinträchtigte Menschen: Kuhherde links. Vulkanizer rechts. Österreichisches Kennzeichen entgegenkommend. Traumhaftes Bergmassiv im Rückspiegel. Stinkende Müllhalde voraus. …
Der Campingplatz im Familienbetrieb direkt an der Drina nahe Foča ist sehr romantisch, auch bei Sauwetter! Wir warten auf eine Regenpause um unser Haus aufzustellen und verbringen die Wartezeit in Foča, einer selten hässlichen Stadt mit einer noch hässlicheren Geschichte. Aber als kleines Zeichen, nach Zerstörung und Vertreibung werden Moscheen wieder aufgebaut.
Das Wasser tröpfelt nur noch vom Himmel, aber jetzt …

Ein Hotspot für uns allein, Maria über Alles und eine Brücke zwischen Welten


7. Tag: Sonntag, 23. September

Strecke: Kravica Wasserfälle – Međugorje – Mostar

Dort wo sich gestern noch hunderte Touristen gedrängt haben ist bei Tagesanbruch außer uns niemand zu sehen, einzig die Wasserfontänen stürzen noch immer tosend über den Felsen. Auch die Sonne hält sich noch im Verborgenen. Bei so einer Kulisse schmeckt sogar der Löskaffee aus dem Blechhäferl … Noch bevor die Reisebus-Horden über die Kravica-Fälle, nahe der kroatischen Grenze, herfallen ist das Zelt im Automobil verstaut und wir rollen dem nächsten Hotspot entgegen. In Međugorje gibt es nur ein Thema – «Maria über Alles»! Seit in den 1980er Jahren Einwohner von Marienerscheinungen berichteten läuft der katholische Pilger_innen-Tourismus auf Hochtouren. Busladungen erwartungsvoller Bet-Brüder-und-Schwestern verströmen sich auf dem Gelände der St.-Jakobus-Kirche. Es ist Sonntag, das Gotteshaus ist brechend voll. Rundherum in den Souvenierläden regiert der Devotionalien-Kult: Maria in allen Ausführungen, Engerl im kroatischen rot-weiss-roten Schachbrett-Dress, heiliger Šljivovica, … Weiter, weiter! Nach Mostar ist es nur mehr eine Kurzstrecke. Heute gibt es nach sechs Zeltübernachtungen erstmals wieder ein gemachtes Bett. Aber auch in Mostar ist die Welt nicht ganz in Ordnung. Eine Brücke über den Fluss Neretva verbindet zwei ehemals verfeindete Lager. Der Kampf um die Stadt zwischen Bosniaken und bosnischen Kroaten hat tiefe Wunden hinterlassen. Äußerlich im Stadtbild omnipräsent, köchelt es zwischenmenschlich noch immer unter der Oberfläche. Die 2004 nach der Zerstörung wiedereröffnete Brücke ist auch aktuell das Herzstück der Stadt und es kommt immer wieder zu Verstopfungen aufgrund der hohen Besucher_innen-Dichte. Auch hier werden im Basar zweifelhafte Erinnerungsstücke angeboten: Patronen-Kugelschreiber, -Panzer, -Flugzeuge!
Abgesehen davon, mein Ziel endlich einmal «Janjetina» (unter Asche geschmortes Lammfleisch) auf den Teller zu bekommen, ist nach sieben Tagen Bosnien erneut gescheitert. Aber, aufgegeben wird ein Brief!

ps: Mostar im Bild wird morgen nachgeliefert!

Go Jajce, Driving by Wetterlage und Winnetou forever!


6. Tag: Samstag, 22. September

Strecke: Jajce – Tomislavgrad – Kravica Wasserfälle

Frühtau, Morgennebel, faule Hunde rund um unser Zelt und Löskaffee aus dem Blechhäferl. Das Camping-Resti hat noch geschlossen, jetzt müssen die letzten Kekse herhalten.
Oberhalb des Pliva Wasserfalls thront die zentralbosnische Kleinstadt Jajce samt Burg. Wir wählen unser heutiges Tagesziel, die Kravica Wasserfälle, nach dem Wetterbericht aus dem Internetz. Der Bergsee Prokoško jezero muss wegen prophezeiter Schlechtwetterlage aussetzen. Es geht trotzdem über die Berge Richtung Süden, auf 900 Meter über dem Meer liegt das nach dem ersten kroatischen König benannte Tomislavgrad. Die bosnischen Kroaten zelebrieren ihre Abstammung mit Kroatien-Flaggen an jeder Ecke. Auf den letzten Kilometern werden Landschaft als auch Klima immer mediterraner. Die angenehme Einsamkeit der Anreise endet abrupt am Parkplatz zu den Kravica-Wasserfällen – Menschen en masse. Die Zufahrt zum Zeltplatz mit dem Automobil wird uns verwehrt, was heißt: Zelt, Bett und Küche tragen! Die Wasserfälle auf Augenhöhe rufen den großen Häuptling aus den ewigen Jagdgründen zurück ins Bild. Winnetou forever! Der Halli-Galli rundherum bringt uns wieder in die Gegenwart. Unser Zelt steht in unmittelbarer Nähe der Kulisse und wir warten nur noch darauf, dass sich die Ausflügler in ihre Stein-Wigwams zurückziehen … Tschüss-Baba!!!

ps: Jajce im Bild, die Kravica-Fälle werden morgen nachgereicht.

Viel Gegend, sehr kompliziert und Schlechtwetterprogramm


5. Tag: Freitag, 21. September

Strecke: Kulen Vakuf – Bosanski Petrovac – Ključ – Jajce

Die Landschaft? Viel Berg, viel Wald, viel Fluss, viel «Šljiva» (Zwetschke, sowohl fest als auch flüssig). Kleine Straßen mit und ohne Asphalt laufen Flüssen entlang und klettern Bergstraßen hinauf. Viel unberührte Gegend, weitgehend unbesiedelt, Serpentinen winden sich einen Pass auf 1.040 Meter Höhe hinauf, oben ein einsames Wirtshaus, umgeben von einem geschundenen Dorf, unten erstreckt sich ein Hochplateau. Vereinzelt wird unterwegs in Waldgebieten vor Personenminen gewarnt. Ab Ključ wird die Besiedelung wieder dichter und wir rollen ein in die Republika Srpska. Ein ehemaliger österreichischer Bundeskanzler hätte gesagt: «Das ist alles sehr kompliziert!» Bosnien und Herzegowina setzt sich aus den Regionen Bosnien im Norden und der Herzegowina im Süden zusammen. Politisch wird es «komplizierter», hier wird zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina (mehrheitlich Bosniaken und bosnische Kroaten), der Republika Srpska (mehrheitlich bosnische Serben) und dem Distrikt Brčko getrennt. Wieder zurück in der Föderation steht unser Zelt heute am Plivsko Jezero nahe Jajce. Unerwartet einsetzender Regen verhindert weitere Abenteuer. Unser Schlechtwetterprogramm: Duschen, Essen, Trinken!

Ein Traumplatzerl, Rakija zur Begrüßung und ein Nationalpark-Paradies


3. Tag: Mittwoch, 19. September

Strecke: Bihać – Orašac – Kulen Vakuf

Nächtliche Probleme mit meinem aufblasbaren Bett, dem mehrmals die Luft ausgegangen ist. Platzende Nähte, ein Montagsfabrikat!
Beim morgendlichen Frühstück oberhalb einer Una-Kaskade ist das nächtliche Liegeproblem auch bald wieder vergessen. Der heutige Tag ist voll und ganz auf den Una-Fluss ausgerichtet. Die Una entspringt im kroatischen Grenzgebiet zu Bosnien, markiert über eine weite Strecke die Grenze zwischen den beiden Ländern, mündet in die Save und erreicht weiter über die Donau das Schwarze Meer. Heute sind es nur rund 30 Kilometer bis zur nächsten Station. Am Weg immer wieder vom Wildwuchs überwucherte Ruinen des Balkankrieges.
In Kulen Vakuf befindet sich ein «Traum-von-Campingplatz» direkt an der Una. Der Besitzer kann sich auch in Deutsch verständlich machen, er verbrachte die Kriegsjahre in Krems an der Donau. Zur Begrüßung gibt es selbstgebrannten Rakija. Der Nachmittag gehört dem Una-Nationalpark, eine sandige Rumpelpiste führt bis auf wenige Meter zum Štrbački buk, dem höchsten Wasserfall im Nationalpark. Von hier aus geht es zu Fuß weiter auf schmalen Pfaden in die Wildnis, einzig die angekündigten Bären bleiben in ihrer Deckung. Ein Traumtagerl mit ganz viel «Sunce» (Sonne). Die schwerste Entscheidung kommt zum Schluss: Der Camping-Wirt hat ein Feuerl angeworfen, Una-Pastrmka (Forelle) oder bosnisches Kesselgulasch stehen zur Auswahl – die Auflösung folgt morgen – Prijatno!

Länder im Schnelldurchlauf, offene Wunden und ein Fluss namens Una


2. Tag: Dienstag, 18. September

Strecke: Dedenitz (A) – Ptuj (SLO) – Zagreb (CRO) – Slunj – Bihać (BiH)

Zuerst war es der Nebel der sich dicht über den Feldern breit machte, dann arbeitete sich die Sonne durch die Bäume in Richtung Himmel und mit ihr kamen die Rehe.
Vier Länder im Zeitraffer: Einen letzten Katzensprung durch Österreich, auf schmalen Landstraßen durch Slowenien, auf breiten Highways bis Karlovac und weiter auf geschlungenen Wegen durch Kroatien bis ins bosnische Bihać, wo einsam am Ufer des Una Flusses unser Zelt-Haus steht.
Ab Karlovac zeigen sich immer noch die nicht verheilten Wunden des Jugoslawienkrieges – verwaiste Häuser, Einschusslöcher, Kriegsruinen. Die Kleinstadt Bihać erlangte als belagerte Enklave weltweite Aufmerksamkeit. An der Oberfläche ist wieder Ruhe eingekehrt und im «Restoran Sunce» direkt an der Una springen die Fische, freuen sich die Enten über Brotreste und die Pljeskavica schmecken wie damals. Einzig der nicht hohe, dafür breite Wasserfall rumort.