Halbzeit, neue „Grenzerfahrungen“ und Danksagungen


22. Tag: Dienstag, 4. Juli

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Strecke: Oebisfelde – Marienborn – Hötensleben – Bahnhof Jerxheim – Veltheim – Hornburg

Streckenlänge: 92 km

Gestern war Halbzeit, heute beginnt die zweite Hälfte. 2.055 Kilometer sind abgeradelt, für Kurzstrecken wurden Mitfahrgelegenheiten, Bus und Bahn in Anspruch genommen. Mit vier (Lettland, Litauen, Russland, Polen) von acht Ländern bin ich durch, zurzeit stecke ich mitten in Deutschland. In den 21 Tagen wurde 1 x wild gezeltet, 13 x wurde das Ein-Mann-Haus auf Campingplätzen aufgebaut und 7 x wurde auf ein gemachtes Bett zurückgegriffen. Nur mit meinen körperlichen Kräften bin ich schon in der „Rapid-Viertelstunde“ angelangt. Aber aufgegeben wird ein Brief!
Viele neue „Grenzerfahrungen“ am heutigen Tag: Sehr viel Stille, die Gedankenküche kocht wie blöd. Die Grenzübergangsstelle Marienborn. Die auf einer Länge von einem Kilometer noch erhaltene Grenzanlage von Hötensleben. Viele leblose Dörfer ohne irgendeine Art von Infrastruktur, kein Mini-Markt, kein Wirtshaus, nichts, dafür ein Bankomat, aber keine Läden. Ich brauche mein Erfrischungsgetränk, verdammte Scheiße! „Ritchys Grill“ am Bahnhof Jerxheim hat mich erlöst – danke dafür! Der Campingplatz in Hornburg hat dicht gemacht, trotzdem darf ich mein Haus aufbauen – ebenfalls danke!
Apropos danke, danke an: meine Liebste für Alles, Lili für’s Management mit Herz, meinem Brompton-Betreuer Dominik von der cooperative fahrrad (http://www.fahrrad.co.at), meinen Campingausstattern Robert und Mirijam von Treksport (https://www.treksport.com), meinem Reifenausstatter Schwalbe (https://www.schwalbe.com/de/start.html) für das Fahren ohne „Platten“ und vor allem Euch für’s Bloglesen, Mitfiebern und all die guten Wünsche – Tausend Dank!

Der Grenze entlang, unharmonische Streckenbeschreibungen und schwindende Kräfte


21. Tag: Montag, 3. Juli

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Strecke: Arendsee – Schrampe – Salzwedel – Henningen – Diesdorf – Brome – Jahrstedt – Oebisfelde

Streckenlänge: 118 km

Im Osten sind die Campingplätze eindeutig gemütlicher. In der Früh gibt`s einen Bäcker mit frischen „Brötchen“, also Semmeln, und es gibt auch eine Camping-Kneipe mit fester und flüssiger Nahrung. Wie jede normale Kneipe hat auch diese eine Plaudertasche, die habe ich mir eingetreten.
Der Arendsee liegt im Nirgendwo, im letzten Winkel von Sachsen-Anhalt an der Grenze zu Niedersachsen. Zu DDR-Zeiten war schwimmen nur bis zur Mitte des Sees erlaubt und die Ausfallsstraßen Richtung Grenze waren Sperrgebiet.
Es geht die Grenze entlang, immer geradeaus und schon ist es wieder da, dieses „Heimtrainergefühl“, die Räder rollen, die Gegend bleibt gleich: Felder, Bäume, Felder, Bäume, … Irgendwann lande ich in Salzwedel, ungewollt und unschuldig. Der Radroutenerklärer und die offizielle Beschilderung harmonieren überhaupt nicht! Und das nicht zum ersten Mal. Der „Eurovelo 13“ ist so gut wie gar nicht ausgeschildert, er überschneidet sich teilweise mit dem Elbe- oder dem Grünen-Band-Radweg, aber eben immer anders und nicht markiert. Salzwedel, auch gut, da hat schon das einzigartige Stimmgewitter (Anm. Chor der Wiener Obdachlosezeitung Augustin) gastiert, seinerzeit. Ich schnitze mir meine eigene Route. Viel Landschaft, schlafende Dörfer ohne Menschen und ohne Infrastruktur, kein Wirtshaus, kein Greißler. Im Finish geht es durch das Naturschutzgebiet Moorland Drömling. Wettermäßig ist heute alles im sonnigen Bereich, alles ist wieder trocken, nur ich bin am Sand – zur Halbzeit geht mir die Luft aus. Heute gibt es wieder ein Bett mit Gestell und Matratze.

Nett verplaudert, verspätet sind die Wünsche angekommen und ein Blick in mein Wohn-Schlaf-Zimmer


20. Tag: Sonntag, 2. Juli

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Strecke: Alt Garge – Darchau – Kaltenhof – Gorleben – Lenzen – Schnackenburg – Arendsee

Streckenlänge: 107 km

Anstatt schlafen zu gehen wird bis in die Nacht angeregt geplaudert, über Reisen, slawische Sprachen und die Besonderheit des Wiener Heurigen. Steve und Christina sind mit dem Tandem übers Wochenende aus Lübeck angereist. Ursprünglich kommen sie aus der Trabi-Hauptstadt Zwickau und aus Salzwedel, an das Eingesperrtsein in der DDR, daran haben die Beiden keine Erinnerung mehr, die Gnade der späten Geburt.
Das Schuheausstopfen war für die Fisch, das Zeitungspapier war nass, die Schuhe ebenso. Auch heute bleibt die Regenhaut das dominierende Kleidungsstück, erst am späten Nachmittag erreichen mich die guten Wünsche meiner Liebsten und die Sonne schaut auf einen Sprung vorbei. Die Elbe, flach eingebettet zwischen fetten Wiesen, begleitet mich heute fast den ganzen Tag. Mehrmals werden die Seiten gewechselt, bis sie sich Richtung Magdeburg verabschiedet. Mein Weg führt weiter Richtung Arendsee. Genauso oft wie die Wasserstraße wechsle ich die ehemalige „Zonengrenze“. Mein gefaltetes Rad sorgt immer wieder für Aufregung und hält mich ab vom Blog schreiben. Die fragende Feststellung – „Mit dem Rad?!“ – höre ich täglich mehrfach. Die ursprüngliche Einschätzung der Radkolleg_innen trägt den Stempel „Sonntagsfahrer“ und das kränkt das Bromptonauten-Herz. Ansonsten keine großen Aufregungen, zum Schluss erlaube ich Euch noch einen Blick in mein Wohn-Schlaf-Zimmer.

Regen auf allen Wegen, gruselige Grenzanlagen und ein Hoch auf Hannah und Glocki


19. Tag: Samstag, 1. Juli

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Strecke: Römnitz – Schlagsdorf – Zarrentin – Schwanheide – Bleckede – Alt Garge

Streckenlänge: 120 km

Socken, Kapuzenjacke, Schuhe alles noch nass, gehen wie in einer Badewanne. Dafür hab ich geschlafen wie ein Kleinkind, mein Schlafsack ist ein Wärmekraftwerk!
„Regen, Regen auf allen Wegen, Regen macht uns Spaß, er macht uns alle nass“ – Sehr lustig! – ein Song der bezaubernden Lassie Singers ist mein Ohrwurm des Tages. Einige Male wechsle ich die ehemalige Deutsch-Deutsche Grenze. Einige DDR-Wachtürme stehen noch, Freilichtmuseen zeigen ganze Grenzanlagen, mit Metallgitterzaun, Todesstreifen, KFZ-Sperrgräben, Betonsperrmauer. Noch immer sehr bedrohlich. Es drängen sich beängstigende Gedanken auf: Flucht, ohne nichts, nur das nackte Leben und das ist gefährdet … Demütig, im Bewusstsein meines Luxuslebens, trete ich weiter. Viele Felder, viele Seen, viel unberührtes Land, vom Unwetter ertränkte Waldwege auf dem Weg bis zur Elbe. Die Natur hat sich den einstigen Grenzstreifen zurückerobert, Rehe springen, Hasen schlagen Haken, jede Menge Federvieh, ein Paradies der Tiere. Ansonsten zieht die Umgebung peripher vorbei, die Regenkapuze sorgt für einen Tunnelblick. Der Regen bleibt konstant.
Zu was Erfreulicherem, zu Hause geben sich gerade Hannah und Glocki, zwei ganz liebe Freund_innen, das „Ja-Wort“. Es kommt zusammen was zusammengehört. Auf diesem Wege alles Gute!
Trotz aller widrigen Umstände, mein ganzes Gewand ist eingeweikt und mein Rad quietscht nach einem Kettenservice, wird das heutige Tagesziel übererfüllt. Und irgendwer hat das Wasser abgedreht, so kann das noch immer nasse Zelt ein wenig auftrocknen. Jetzt müssen nur noch die Schuhe mit Zeitung ausgestopft werden und möge der Hahn morgen zubleiben!

Schlechtes Omen, Kulturraub und schon wieder waschelnass


18. Tag: Freitag, 30. Juni

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Strecke: Wismar – Lübeck – Groß Sarau – Ratzenburg – Römnitz

Streckenlänge: 119 km

Der Himmel hat sich immer noch nicht beruhigt. Die „Pension am Wasserturm“, mein Bettgeber der letzten Nacht, war vielleicht ein schlechtes Omen. Dauerregen! In Berlin stehen die U-Bahn-Stationen unter Wasser und in Tegel lernen die Flugzeuge schwimmen. Wetterbesserung ist nicht in Sicht, alles rinnt! Ostsee Adieu. Die Strecke Wismar – Lübeck bin ich schon getreten, darum nehme ich den Zug. Lübeck, Weltkulturerbe hin oder her, ist nicht mein Fall und schon gar nicht will ich über 60 Euro für ein Bett berappen. Und warum werden in der Wessi-Stadt Lübeck die Fußgänger-Ampeln mit Ampelmännchen geregelt – eindeutig ein Kulturdiebstahl. Ich will weiter. Die Regenhaut aus den 70ern ist eigentlich mehr Zierde als Schutz und so komme ich wieder einmal waschelnass ans Tagesziel, Römnitz am Ratzeburger See. Bei strömenden Regen wird das Zelt aufgebaut und die einzige glückliche Fügung des heutigen Tages, es gibt ein Wirtshaus nebenan. Das Lied zum Tag: Rudi Carell (wer ihn noch kennt) mit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“. So, ich mach jetzt das Licht aus, der/die Letzte dreht das Wasser ab.

Lebensbeichte, Unwetter und kein Fischbrötchen mehr


17. Tag: Donnerstag, 29. Juni

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Strecke: Dierhagen – Ostseebad Warnemünde – Ostseebad Kühlungsborn – Wismar

Streckenlänge: 91 km

Über die Nacht kam der Regen, früh morgens hängt noch eine dicke Wolkenschicht über dem Dünencamp. Camper sind eine eigene Spezies, manche bringen sogar ihre eigenen Blumenvorgärten mit, gießen müssen sie heute nicht.
Um es gleich vorwegzunehmen, das heutige Tagesziel wird trotz widriger Umstände erreicht. Unter einem Himmel voller Wolken geht es immer dicht am Wasser entlang. Unterwegs reiße ich einen neuen Begleiter auf, Frank aus Hessen. Frank ist seit sieben Jahren trocken, das Radfahren hat ihm geholfen von der Droge Alkohol wegzukommen. Seit drei Wochen ist er bereits unterwegs, mit offenem Zeitbudget. Eineinhalb Stunden treten wir gemeinsam durch den Wald, in Warnemünde, eine Lebensgeschichte weiter, trennen sich unsere Wege. Der Himmel grollt bedrohlich. Zwischen Warmemünde und dem Ostseebad Kühlungsborn stehen die letzten zwei noch erhalten gebliebenen DDR-Grenzwachtürme. Dann platzt der Himmel, es schüttet wie aus Kübeln. „Molli“ die Bäderbahn bringt mich nicht ins Trockene, aber Richtung Etappenziel. Einmal umsteigen und Wismar heißt der heutige Hafen. Ein paar Knöpfe gedrückt und ein Zimmer ist gebucht, wie war das früher? Nur gegen das viele Wasser von oben, da geht auch die neue Technologie baden. Es schüttet noch immer, das Fischerboot „Emma“ schaukelt aufgeregt im Hafenbecken. Ein Fischbrötchen wäre jetzt noch ein Hit, aber alle Rollbalken sind schon gefallen. Wismar schläft bereits und das kurz nach acht.

Zug statt Kopfsteinpflaster, Freund Ernst und die schönste Form von deutsch-deutscher Wiedervereinigung


16. Tag: Mittwoch, 28. Juni

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Strecke: Greifswald – Stralsund – Barth – Ostseeheilbad Zingst – Ostseebad Prerow – Dierhagen

Streckenlänge: 134 km

Das historische Kopfsteinpflaster auf der Strecke Greifswald – Stralsund spar ich mir. Diese Strecke hatte ich schon mal, brauch ich nicht mehr, ich nehme lieber den Zug. In der Hansestadt Strahlsund dominiert der Backstein, am Hafen die Fischbrötchen. Beim Verlassen der Stadt treffe ich meinen Freund Ernst, Ernst Thälmann. Versteinert blickt er von der Strandpromenade aus Richtung Meer. Auch heute wieder eine ruhige Strecke, kleine Dörfer, Bungalows mit perfekt gestutztem Rasen, Koppeln mit Pferden, Rindviecher grasen und alles mögliche Geflügel. Unterwegs zähle ich zum Zeitvertreib die Radler_innen „mit“ und „ohne“. Meine nicht repräsentative Statistik geht mit 41:40 an die „Eierschädl“ (liebevoll für Helmträger_innen). In Barth treffe ich auf Jutta und Harald, unsere Blicke haben sich schon am Bahnhof von Greifswald gestreift. Beide ohne Eierschädl dafür mit Cowboyhut. Jutta aus Göttingen, Harald aus Dresden, jahrelang getrennt durch den Eisernen Vorhang. Nach der Öffnung haben sie sich kennengelernt, heute sind sie seit sieben Jahren ein Paar. Die schönste Form von deutsch-deutscher Wiedervereinigung! Geschichten werden ausgetauscht, Erfrischungsgetränke getrunken, die Zeit übersehen. Schön war’s, aber jetzt kommt mein Zeitplan doch noch ins Wanken. Die Halbinsel Darß wartet noch, Seebäder, Moorwälder, Fischland. Mein Zelt steht heute nahe der Dünen in Dierhagen.

Badewanne der Berliner, endlich Entspannung und wunderbare Fischbrötchen


15. Tag: Dienstag, 27. Juni

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Strecke: Ostseebad Karlshagen – Peenemünde – Freest – Seebad Lubmin – Greifswald

Streckenlänge: 73 km

Obwohl ich jetzt schon seit zwei Wochen an der Ostsee unterwegs bin, war ich noch kein einziges Mal baden. Erst hat das Wetter nicht gepasst, jetzt mag ich grad nicht. Usedom wird auch die „Badewanne der Berliner_innen“ genannt und wo schon so viele Menschen sich gesäubert haben, steck ich meine Zehen nicht mehr rein. In der Campingstadt, werde ich vom Nachbar-Wohnwagen auf ein Abendbrot eingeladen und erfahre allerlei Geschichten von geländegängigen Fahrzeugen und übers Campen vom Profi. Mein Gegenüber hat für jede Aufgabenstellung das passende Werkzeug parat.
Heute rollt alles perfekt, fahrbarer Untergrund auf allen Wegen. Eine landschaftlich sehr schöne unaufgeregte Strecke führt den Pennestrom runter dann rauf und durch ein Fischerdorf  – Freest – das den Namen auch verdient und noch nicht zum Seebad verkommen ist. Es gibt auch ein Seebad (Lubmin) an dem der große Zirkus anscheinend vorbeigezogen ist, auf der obligatorischen Seebrücke – niemand da! Das Tagesziel Greifswald wird schon am frühen Nachmittag erreicht. Heute schlaf ich wieder einmal in einem festen Bett, vorher stehen Restaurierungsmaßnahmen auf dem Programm: Körper- und Wäschepflege, Schlafsack ausstinken lassen, … An der Ryck, der Greifswalder Verbindung mit der Ostsee, darf ich heute einmal in Ruhe, bei einem Erfrischungsgetränkt, Blog schreiben.
Allfälliges: Seit gestern kann ich mich wieder im gewohnten Maße verständlich machen, gleichzeitig verstehe ich auch alles, was nicht immer von Vorteil ist. Kulinarisch waren die ersten zwei Wochen eher als Nahrungsaufnahme zu verbuchen. Ab sofort gibt es Fischbrötchen und Würzfleisch – großartig! Einzig die Fischbratwurst?!, die geht gar nicht!

Geschundene Waldwege, ein weiterer Länderwechsel und der „Geschmack der Gerechten“


14. Tag: Montag, 26. Juni

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Strecke: Dziwnów – Międzyzdroje – Świnoujście (PL) – Seeheilbad Ahlbeck (D) – Ostseebad Karlshagen

Streckenlänge: 92 km

So richtig warm ist es in den letzten Tagen nur im Schlafsack. Achtzigerjahre-Klänge aus der Disco nebenan dröhnen mich in den Schlaf.
Der Tag beginnt auf Wegen weg vom Wasser durch das Land, durch Kastanienalleen, vorbei an Feldern durch kleine Dörfer. Ein Loblied auf den „Sklep“, jede kleinere Ortschaft hat einen, diese Mini-Märkte bieten alles, vom Klopapier bis zur Wurstsemmel. Die letzten polnischen Kilometer haben noch einige Überraschungen auf Lager, vom Regen geschundene Radwege, sowie nicht ganz eindeutige Angaben in meinem Radbuchbegleiter verleiten mich beinahe zu einer ausufernden Extratour. Das Wetter hat sich positiv eingerenkt und die Grenzstadt Świnoujście ist in Reichweite. Die polnische Etappe hat uns beide, mein Brompton und mich, teilweise an unsere Grenzen gebracht – Wetterverirrungen, Sandpisten, fehlende Zeit – trotzdem will ich keinen Kilometer missen. Seitenwechsel. Über der Grenze dasselbe Bild, auch in den deutschen Seebädern steppt der Bär. Die Hotels und Villen heißen Kaiser Wilhelm oder Germania, davor wird Störtebecker-Bier – „der Geschmack der Gerechten“ – ausgeschenkt. Der Kapitalismus hat keinen Genierer! Nach den ersten drei großen Seebädern führt ein Waldweg hinaus aus dem Wahnsinn, sehr romantisch wenngleich weniger abenteuerlich als auf polnischer Seite, ich weiß es zu genießen. Der heutige Campingplatz ist eine penibel durchorganisierte Kleinstadt deutscher Gründlichkeit – schlafen werd ich trotzdem gut.

Luxusprobleme, Dauerregen und pure Wut


12. Tag: Samstag, 24. Juni

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Strecke: Rowy – Ustka – Darłówko – Dabki – Dabkowice – Łazy

Streckenlänge: 95 km

Trotz mentaler Bestform geht mir gerade alles, um es kindergerecht zu formulieren, auf den Geist: die Kirtagsdörfer mit Strandzugang, das ganze Souvenirgerümpel, kein Internetz, die zu befahrenden Untergründe, die Radwegbeschriftungen, das Wetter, … Alles Luxusprobleme. Trotzdem! Heute ist kein Tag für Fahrrad-Romantik, heute wird nur auf die Kilometerleistung geachtet. Keine Radwege, Bundesstraße! Überlandregen in allen Abstufungen, um die Mittagszeit in Darłówko bin ich nass bis auf die Knochen. In der Mittagspause setzt der Regen aus, um sich rechtzeitig zur Abfahrt wieder wichtig zu machen. In Dabki tobt wieder der Zirkus. Rege Bautätigkeit. Der letzte Ost-Charme wird beseitigt um eine Vergnügungs-Wunderwelt mit Meerblick aus der Erde zu stampfen. Radfahrtechnisch läuft alles rund, die letzten Kilometer reine Formsache. Nur, die Realität hat immer Überraschungen auf Lager. Die vermeintliche Spazierfahrt zur heutigen Liegestadt wird zum Härtetest. Ein reiner Sandweg über fünf Kilometer. Rad schieben ist schlimm, Rad samt Gepäck tragen ist die Hölle. Beim Schieben kommen sich mitunter auch die Pedale mit den Beinen in die Quere. Die darauffolgenden Schreie haben mit Schmerz nichts zu tun, purer Zorn! Mein „Bobo-Porsche“ (© Reinhold Schachner) weiß mit fast allen Bodenbeschaffenheiten umzugehen, nicht mit Sand! Apropos Brompton, mein Zweirad löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus, von ungläubigem Kopfschütteln bis Daumen hoch. Manche halten es im gefalteten Zustand für einen Rollstuhl, andere Fragen „Und wo ist der Motor?“, und die beste Meldung bis dato – „Where you do want to go with this?!“. Schau ma mal, was der morgige Tag zu bieten hat …