In der Schmuddelstraße, alles wieder anders, das Schwarze Meer


26. Tag, Mittwoch 06. Juli

Strecke: Kirklareli (TR) – Tsarevo (BG)

Streckenlänge: 105 km      Fahrzeit: 6 h 50 min

Gestern Abend war ich noch auf einen Sprung in der Schmuddelstraße. Eine enge Seitengasse, wo Bier ausgeschenkt und auf Pferde gewettet wird. Männer only! Kirklareli hat sich gelohnt, eine lebendige Kleinstadt fern ab vom Tourismus nahe der bulgarischen Grenze.
Der Reise-Plan war, mich in gemäßigten Schritten dem Ziel anzunähern. Es ist anders gekommen. Flüge in die Heimat unter fünf Stunden waren nur noch am Freitag verfügbar. So mussten heute die ganzen, fehlenden, 105 km auf einmal bewältigt werden. Und nach dem Frühstück waren sie wieder da, die Berge, gleich hinter Kirklareli haben sie sich aufgebaut. Mächtig.
Von Kirklareli bis Tsarevo war es eigentlich nur eine einzige Straße die zu bezwingen war. Anfangs guter Asphalt und immer bergauf (insgesamt waren es über 1.000 Höhenmeter), nach dem Grenzübertritt nach Bulgarien gings bergab. Auch mit der Straßenqualität. Der Genuss der Abfahrten wurde durch einen unpackbaren Schlagloch-Slalom gedämpft. Weiters, vom Start bis zum Ziel keine Dörfer, nur auf Abwegen. Keine außergewöhnlichen Flüssigkeiten, bis auf die rettenden Trinkbrunnen. Ehrlichkeitshalber muss ich sagen, einer „kurzen“ Mitfahrgelegenheit hab ich nicht widerstehen können. Die einzigen lebendigen Kontakte außer Grenzkontrolle und der erwähnten Mitfahrgelegenheit war eine Ziegen-Herde im Wald. Aber dann: Das Ziel. Das Schwarze Meer. Ich gehe noch immer auf Wolken. Unbeschreiblich! Ein zarter Rausch.
Ich verabschiede mich jetzt, hab noch zu feiern. Das erste Zielfoto schon heute, das offizielle mit Rad und Radler folgt morgen.

Der Muezzin ruft, Gegenwind und was endlich einmal gesagt werden muss


25. Tag, Dienstag 05. Juli

Strecke: Edirne – Inece – Kirklareli (Karte)

Streckenlänge: 67 km      Fahrzeit: 4 h 33 min

Schwer überfordert! So viele Kulturen in so kurzer Zeit. Gestern beim Abendessen (Hühnerleber, eine Spezialität) hat mich der Muezzin erschreckt. Punkt 21 Uhr. Sehr laut! Viele Gastarbeiter sind zur Zeit auf Heimaturlaub. Am Nachbartisch, die Jugend unterhält sich auf Deutsch, die Eltern sprechen mit der Verwandtschaft Türkisch. Auch mein gestriger Friseur arbeitet in Deutschland, macht gerade Urlaub bei seiner Familie und hilft im Laden eines Freundes aus. Sozusagen eine Haar- und Bartkorrektur im Pfusch.
Heute sollte es eine Spazierfahrt werden. Fast. Das Herausfinden aus der Stadt war eine Aufgabe für Fortgeschrittene. Die Straße immer leicht hügelig, der Belag bekömmlich, meine Freund_innen die Wolken haben die gelbe Sau perfekt abgedeckt, aber der Gegenwind! Gute 60 Kilometer Gegenwind. Er hat die vermeintliche Spazierfahrt zur Tortur werden lassen. Durchschnittsgeschwindigkeit unter 15 km/h. Der schlechteste Wert seit Beginn der Reise! Wurscht, ich bin gut angekommen.
Und was ich schon lange berichten wollte. Ein Hoch auf die Mini-Märkte! ABC-Markt, Magazin Mixt, Mini-Market, … oder wie auch immer. Fast jedes Dorf besitzt so einen Mikro-Laden, wo es von Wasser und Brot bis zum Waschmittel die wichtigsten Gegenstände des täglichen Lebens zu erwerben gibt. Ab dem Grenzübergang Berg (A/SK) ist das ganz selbstverständlich. Solche Greißler, die aus dem heimischen Alltag komplett verschwunden sind, sind für die/den Reisende(n) von unschätzbarer Bedeutung. Diese Läden sind multifunktional ausgestattet und in manchen Dörfern der einzige Treffpunkt. Praktisch Wirtshaus, Trafik, Lebensmittelmarkt und Sozialamt in einem. Tagtägliche Lebenshilfe, also wirkliche Super-Märkte!
Zurück ins Heute, auch wenn die türkischen Mini-Märkte für meine Bedürfnisse nicht ausreichend sortiert sind – trotzdem großartig! Wunderbarer Cay und möglicherweise ganz tolle Geschichten, nur verstanden hab ich sie nicht.

Flachland auf Bergland, Grenze auf Grenze, große Stadt auf kleine Stadt


24. Tag, Montag 04. Juli

Strecke: Ivajlovgrad (BG) – Kyprinos (GR) – Rizia – Kastanies – Edirne (TR) (Karte)

Streckenlänge: 44 km      Fahrzeit: 2 h 26 min

Eine kleine Spritztour sollte es heute werden. Trotzdem ist viel passiert. Zwei Grenzübertritte. Aufs Bergland der vergangenen Tage folgt Flachland. Brettleben geht es durch Griechenland. Felder, Sonnenblumen, kleine Dörfer, nette Menschen, dennoch blieb es bei einem Kurz-Gastspiel, schon wartet die nächste Grenze. Bewaffnete Grenzsoldaten sowohl auf griechischer als auch auf türkischer Seite. Eine alte Geschichte. Auf das verschlafene Ivajlovgrad und die griechische Landidylle folgt das pulsierende Edirne. Viele Menschen, viele Moscheen, ein Bazar nach dem anderen, viel Verkehr, viel Lärm. Sonne und Gewitter wechseln sich ab. Und jetzt ist es an der Zeit, der Pelz im Gesicht muss weg, ein türkischer Friseur muss her. Voilà!
Das Blog-Schreiben gestaltet sich mühsam, ständig werde ich zum Tee trinken eingeladen. Vier Einladungen habe ich schon hinter mir. Zum Thema Trinken. Die Getränkekarte hat sich radikal verändert, auf der Liste stehen Cay und Ayran ganz oben. Zum Wohl.

In de Berg bin i gern, ein Unwetter und ein Bärenschöpfer Glück


22. Tag, Samstag 02. Juli

Strecke: Dospat – Borino – Grohotono – Siroka Laka – Smoljan – Ustovo – Madan – Ardino – Kardzali

Streckenlänge: 197 km (davon 48 km/Rad)      Fahrzeit: 6 h 30 min (davon 2 h 25 min/Rad)

Angefangen hat alles traumhaft. Sonnig, bei perfekten Radtemperaturen. Wunderbare Ausblicke, unglaubliche Bergwelt. Schluchten, Flüsse, kleine Dörfer, ruhige Straße, erträgliche Steigungen. In de Berg bin i gern! Bis sich ein Unwetter zusammenbraute. Vorbei mit der Bergromantik und Beginn aller glücklichen Fügungen. Blitze, Donnergrollen, die ersten Tropfen. Das erste vorbeikommende Auto, ein Treffer, bringt mich über Umwege zu einer Busstation. Der Bus war verspätet, mein Glück. Ein darauffolgender Busmarathon, drei verschiedene Busse, jeden auf die Minute erwischt (und das ist die Kurzversion), ließ mich durchgeschüttelt, aber glücklich in Kardzali landen. Der Regen war noch immer da. Und jetzt ein Erfrischungsgetränk. Auf mich und mein Glück!

Heute mach ich blau, trotzdem läuft nicht alles wie geplant


21. Tag, Freitag 01. Juli

Strecke: Goce Delcev – Dospat

Streckenlänge: 52 km (Bus)      Fahrzeit: 1 h 30 min

Goce Delcev hat es sich verdient noch ein wenig zu verweilen. Der Vormittag wird vertrödelt. Ordentlich frühstücken, in die Luft schauen, beobachten. Auffallend ist die Schrittgeschwindigkeit der Delcever_innen die den Namen auch verdient. Es lebe der Schlendrian. Obwohl Bulgarien uns eine Stunde voraus ist, laufen hier die Uhren langsamer. In den kleinen Straßencafes ist das Platz nehmen auch ohne Konsumation gestattet, die Bestellungsaufnahme hat Zeit und alles Raucht. Sehr viele Kinderwägen und Mütterstammtische, nur die Mobiltelefone sind genauso beliebt wie bei uns zu Hause.
Um 14 Uhr geht mein Bus nach Dospat. Schluß mit Bergstrecken, heute wird mein Brompton nur im Nahverkehr eingesetzt. Dospat liegt auf 1.200 Meter. Ein aus der Zeit gefallenes moslemisches Bergdorf. Zwei Moscheen, die Straßen desolat, die Gehsteige in Arbeit, an den Häusern nagt die Zeit. Viele Geschäfte sind geschlossen, aber die Hotels sind bestens belegt, was an dem nahe gelegenen See und der reizvollen Berglandschaft liegen mag. Eigentlich sollte Dospat nur ein Zwischenstopp sein, aber die Busverbindungen sind rar und morgen geht gar kein Bus in meine Richtung. Ich werde mich wohl wieder aufs Rad schwingen müssen. Durch die Berge.
Gerade zieht ein Gewitter auf. Koid is!

Liegen gelassen


21. Tag, Donnerstag 30. Juni

Strecke: Marino Pole – Katunci – Gorno Spancevo – Dobrotino – Goce Delcev (Karte)

Streckenlänge: 58 km (davon 42 km/Rad)      Fahrzeit: 3 h 15 min (davon 2 h 41 min/Rad)

Wie auf jeder meiner Reisen bleiben auch auf der Eisernen-Vorhang-Tour Kleidungsstücke von mir zurück. Ein vor dreizehn Jahren gestartetes Projekt hat heuer Aufnahme in die Wiener Boulevardzeitung Augustin gefunden.
„Liegen gelassen“ im Sinne von – „Wherever I lay my hat, that’s my home“. Die Souvenirs bleiben in den Regalen, stattdessen lasse ich an ausgewählten Plätzen ein Stück von mir zurück. So wie heute in Goce Delcev. Die nach dem Revolutionär Georgi (Goce) Deltschew benannte Stadt hieß bis 1951 Nevrokop. In Bulgarien und Mazedonien gilt Deltschew bis heute als Nationalheld. Die Rohbauweise im Fotohintergrund ist nicht immer beabsichtigt, wird aber gleichzeitig als Stilmittel eingesetzt. Das hat was! (Apropos Augustin, die neueste Ausgabe erscheint am 6. Juli)
Der Popski Pass (1.120 Meter) wurde heute auf vier Etappen bezwungen. Radfahrend, mitfahrend (Geländewagen), radfahrend/schiebend und wieder mitfahrend (PKW). Wie auch immer, irgendwann war ich dann oben. Bei der darauffolgenden Abfahrt habe ich die vorgegebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen fallweise übertreten. Schön wars. Die Weiterfahrt habe ich verpasst, aber das macht gar nichts, Goce Delcev ist sehr reizvoll.

So schauts aus …


20. Tag, Mittwoch 29. Juni

Strecke: Strumica – Novo Selo (MK) – Petric (BUL) – Marino Pole

Streckenlänge: 71 km      Fahrzeit: 3 h 43 min

Nachfolgend einige aufklärende Worte zum Tagesablauf eines Reisenden:
Zu den Fahrzeiten. Die Fahrzeiten sind Nettozeit, Pinkelpausen, die flüssige Energiezufuhr unterwegs, fotografische Tätigkeiten, Exkursionen, … sind nicht miteingerechnet.
Das Fotografieren gestaltet sich schwieriger als erwartet. Wenn die Räder rollen ist es radlertechnisch oft kontraproduktiv den Fluss zu unterbrechen um den Moment einzufangen. „Should I Stay Or Should I Go“? Das beste Licht? Geht nicht. Zusätzlich bin ich doppelt eingesetzt, mit meiner Panasonic Lumix und dem i-pad. Die Fotos aus dem Blog stammen allesamt aus der Apfel-Kiste.
Das Radeln. Meistens trägt mich mein Brompton. Bei Ausflügen zu Wasserfällen, Ruinen und in die Bettstation wird es von mir getragen. Manchmal darf es auch Auto oder Bus fahren. Wir sind ein tolles Paar. Es wird auch wöchentlich auffrisiert und langsam werde ich im tunen geschickter.
Die Glücksmomente in aufsteigender (Wertigkeit) Reihenfolge: eine geeignete Bettstation, die beste Dusche der Welt, Schlafen wie ein Kleinkind, das erste Erfrischungsgetränk, Essen.
Der Blog, entsteht immer nach der Herbergssuche, immer frisch geduscht bei einem Durstlöscher.
Und vor dem Schlafen kommt das Schönste, Essen! Sonst noch was?
Zum Heute. Es war wieder ein reiner Radtag mit Grenzübertritt. Ausnahmsweise, weil morgen warten wieder die Berge …

Einsamkeit, Ehrenrettung und auf vier Rädern in die große Stadt


18. Tag, Montag 27. Juni

Strecke: Tran – Stajcovci – Kosovo -Treklyano – Kyustendil – Blagoevgrad

Streckenlänge: 143 km (42 km/Rad).     Fahrzeit: 4 h 35 min (davon 2 h 20 min/Rad)

Nach einer kurzen Wohlfühlstrecke geht es wieder bergauf durch den wilden Balkan. Nicht unfahrbar, aber stetig. Waldlandschaften und einsame, fast verlassene Dörfer auf 40 Kilometer. Zwei Autos, zehn Menschen, keine Jausenstation. Auch keine freilaufenden Hunde. An dieser Stelle eine Richtigstellung zur Ehrenrettung der Straßenhunde. Die wilden Hunde sind meist harmlos, lästig sind die, die glauben etwas verteidigen zu müssen. Kommt uns da nicht was bekannt vor?
Übrigens die Beschilderung hat sich insofern gebessert, dass auch für mich lesbare Schriften vorkommen. Außer Treten bleibt viel Zeit für Selbstgespräche und zum Singen. Mein heutiger Schlager: Die Lassie Singers, „Auf allen Wegen Regen Regen, wir haben nichts dagegen,
Regen macht uns Spaß, er macht uns alle nass“, vielleicht aus einem Wunschgedanken heraus. Und irgendwann kommt das letzte Lied, dann ist der Spaß vorbei und ich suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Wenige Autos, wenig Chancen. Erster Versuch, Volltreffer! Keine Teilstrecke, gleich bis Kyustendil. Und weil es sich auf vier Rädern schneller rollt, hab ich gleich noch den Bus nach Blagoevgrad genommen. Als eine der größten Städte Südwestbulgariens ist hier Endstation mit Einsamkeit.

Aufbauphase, neue Probleme und bulgarische Gastfreundschaft


17. Tag, Sonntag 26. Juni

Strecke: Dragoman – Gaber – Krusa – Vrbaca – Tran

Streckenlänge: 43 km      Fahrzeit: 2 h 55 min

Ich hab mich wieder aufs Rad getraut. Neues Land, neuer Elan. Eine kleine Etappe sollte es werden, um den maroden Körper nicht gleich zu überfordern. Es wurde eine Tour durch die Berge, durch teils verlassene Dörfer, auf geschundenen Wegen. Landschaftlich ein Traum. Und dann waren sie wieder da, die Straßenhunde. Ich hab mir ein Stöckchen besorgt, nicht um es zu werfen … Bei der ersten Attacke, hab ich es stecken lassen und bin um mein Leben geradelt. Ein riesen Viech, so etwas hat keine Angst vor Stöckchen.
Eine weitere, neue, Problematik ist aufgetaucht, die Beschilderung. Nicht immer vorhanden, nicht immer lesbar, und wenn, meist nur in kyrillischer Schrift.
Trotzdem hat mir eine, für mich nicht lesbare Tafel, den Weg zu einem Naturschauspiel gewiesen. Purer Zufall. Parkende Autos im Nirgendwo. Hier ein Pfad. Da ein Experiment. Mein Rad und ich tauschten kurzfristig die tragenden Rollen. Und aus dem Nichts, ein Wasserfall. Dort durfte ich zum ersten Mal bulgarische Gastfreundschaft genießen. Ein flussgekühltes Bier und einen Grillspieß. Danke!
Trotzdem werden Busse und Mitfahrgelegenheiten in den kommenden Tagen eine willkommene Alternative bleiben.

Zum Schluß noch ein Nachtrag. Der Sager des vergangenen Tages, von einem deutschsprachigen serbischen Roma, am Busbahnhof von Pirot (SRB): „Zigeuner und Juden sprechen alle Sprachen.“

Beobachtungen an einem radfreien Tag


16. Tag, Samstag 25. Juni

Strecke: Zajecar – Knjazevac – Pirot – Dimitovgrad (SRB) – Dragoman (BG)

Streckenlänge: 185 km (Bus/Zug)

Menschenschlangen vor der Bank.
Jedem Serben sein Herrentascherl zum Umhängen.
Die männlichen Bäuche sind beachtlich und ihre Träger sichtlich stolz darauf.
Der Einkauf wird per Hand, oder auf der Fahrrad-Lenkstange nach Hause transportiert.
Die Straßenhunde sind friedlich und integriert, manchmal fällt ein Happen ab.
Rauchen ist fast überall und jederzeit erlaubt, nur nicht im Bus.
Der Busfahrer hat wenige Zähne, dafür umso mehr Schmäh.
Mir geht es wie dem österreichischen Nationalteam, ich bin außer Form.

Mit dem Bus geht es dreieinhalb Stunden holprig durch das Land. Die Hügel wachsen zu Bergen, Flüsse fließen, Schluchten fallen, ein Wasserfall stürzt, alles sehr romantisch, vom Bus aus! Dimitrovgrad sollte meine heutige Bettstation sein, doch der tägliche Zug nach Dragoman (BG) fährt in einer Stunde. Die meiste Zeit für die 15 Kilometer lange Strecke nehmen die Grenzkontrollen in Anspruch. Serbien, Danke und Baba!