Endlose Gerade, Suppenküche und Hölkyn Kölkyn!


9. Tag: Dienstag, 26. Juni

Strecke: Luosto – Pyhä – Pelkosenniemi – Savukoski

Streckenlänge: 84 km (gesamt 634 km)

Auf einer einsamen Straße durch den Pyhä-Luosto-Nationalpark. Die beiden Berge (Fjells) von Luosto und Pyhä bilden zusammen eine 35 Kilometer lange Bergkette. Bergkette im finnischen Ausmaß, der höchste Fjell misst knapp über 500 Meter. Bei so viel Ruhe bleibt beim Treten viel Zeit zum Grübeln über die großen Dinge des Seins: «Wie geht Leben richtig?» «Warum beißen die Fische nur an fremden Schnüren?» «Was machen Finn_innen in dieser Einöde außer Essen, Hmmhmm und Schlafen?» Sollte die große Erleuchtung eintreten wird darüber berichtet.
Heute rollen die Räder wie von alleine. Dazwischen ein kleines «Fangerl-Spiel» mit einem Rentier: Wir verfolgen, es flüchtet, wir flüchten, es verfolgt! Später führt eine 40 Kilometer lange Gerade (Landschaft – same, same) nach Savukoski. Einzige Abwechslung, die Nachmittagspause samt Suppenküche. Apropos Kochen: Großen Dank an Mirjam und Robert (Treksport) für das kleine Wunderding an Gaskocher, welches uns nicht verhungern lässt!
Unweit von Savukoski soll auch der Weihnachtsmann zu Hause sein, was aber auch ein bisserl wurscht ist. Irgendwie ist ganz Finnland sehr weihnachtlich ausgerichtet: Weihnachtbäume rundherum, tausende Rudolfs (Rentiere) und jetzt kommt auch noch der Weihnachtsmann daher. Uff! In der kleinen, aber feinen Ortschaft sind wir die einzigen «Gringos». Die Locals im Pub Vorort sehen das eher gelassen – Unterhaltung «Ja», Verabschiedung «Nein»! Wir verfallen einem finnischen Mischgetränk aus Gin und Limonade – Hölkyn Kölkyn (Zum Wohl)!

ps: Trotz guter Tipps geht auch heute kein Fisch an die Schnur!

Schlechter Start, Daumen hoch und Reindeer to touch


8. Tag: Montag, 25. Juni

Strecke: irgendwo am Vajunen-See – Sodankylä – Luosto

Streckenlänge: 85 km (gesamt 551 km)

Gleich vorweg, Frisch-Fisch war aus, also wieder Teigwaren aus dem Sackerl. Das Platzerl war trotzdem ein Traum.
Die zweite Woche beginnt nicht nach Wunsch. Immer noch unterwegs auf der E75 und der Verkehr wird auch nicht weniger, wer hat diese vielen Camper losgelassen? Zwischendurch immer wieder kleine Aufmunterungen. Der Blog bekommt schwedische Followers, dafür drücken wir für Schweden die WM-Daumen, so lautet der Deal. Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, die Landschaft: Holz, Wasser, Asphalt. Sodankylä ein etwas größeres Dorf, ist bekannt für sein «Midnight Sun Film Festival» im Juni. Filme rund um die Uhr, weil es eh wurscht ist, is sowieso immer die gleiche Beleuchtung. Sonst ist nicht viel los und der Dorfjugend ist fad im Schädl, die glühen auf ihren Moperln deppert die Hauptstraße rauf und runter, «Wheelie» inklusive!
Nachricht an die Liebste/Mutter: «Der Konsti-Monsti hat eine rote Nase wie der Rudl das Rentier». Vermeintliche Antwort: «Hab dir extra Faktor 50 besorgt!»
Weiter die Hauptroute. Sogar schwere Motorradfahrer zollen uns – Daumen hoch! – immer wieder Respekt. Heute sind wieder jede Menge Rentiere unterwegs, auch mitten auf der Schnellstraße. Die Viecher werden immer zutraulicher, fast zum Angreifen. Irgendwann teilt sich das Asphaltband und führt uns auf einsamen Wegen bis in den kleinen Wintersportort Luosto. Da hat fast alles zu, aber im Hotel am zentralen Platz steppt  der Bär. Touristenbusse en masse und die angefütterten Rentiere faulenzen in großer Zahl am Hotelparkplatz. Die Touri-Hütten rundherum sind im Sommer unbewohnt, auf einer fetten Wiese davor parken wir unsere Zelte.

1.000 Gelsen, Rentierwürste und nasse Wäsche


5. Tag: Freitag, 22. Juni

Strecke: Inarisee – Kaamanen – Inari

Streckenlänge: 67 km

Nachtrag: Fast aufgetrocknet streifen wir, spät aber doch, unsere Regenhosen über. Das Wasser scheint den Wolken nicht auszugehen. Abendessen am See, der «Konsti-Monsti» wird nach seinem ersten Kocheinsatz, es gibt angebrannte Nudeln Marke «Quatro Formaggi», gleich wieder abgesetzt und zum Abwasch verdonnert! Auf der Straße keine Menschen, keine Orte, nur Rentiere lassen sich ab und zu blicken. Das Problem mit den Rentieren, bis die Kamera umständlich aus der Tasche gezogen und schussbereit ist, sind die dummen Viecher längst eine Wolke. Die 24 Stunden Dauerbeleuchtung hat auch Vorteile, es gibt keinen Zeitstress bei der Schlafplatzsuche. Diesmal stehen unsere mobilen Häuser auf einem Hang über dem Inari-See. Alle 3.000 Inseln des sechstgrößten Binnensees Europas lassen sich von unserem Hochsitz aus nicht überblicken, das Bild ist dennoch großartig! Das Paradies hat nur einen Haken: Tausend Gelsen! Oder wie Ernst Molden singt «Dausnd Göösn a Woikn aus Duascht». Die Wiener Lobau ist schlimm, Lappland ist schlimmer!

Die Biester sind in der Früh immer noch aktiv. Heute ist es im Vergleich zu gestern nur ein Katzensprung von 60 Kilometern nach Inari. Die Landschaft hat sich seit gestern nicht verändert –Bäume, Wasser, Bäume, Wasser. Rentiere gibt es heute keine, dafür einen Fuchs und ungläubige Menschen: «Durch Finnland? Wie, mit dem (Rad)!»
Gelandet in Inari, dem Zentrum der finnischen Sámi-Region (indigenes Volk im Norden Skandinaviens), beziehen wir zum ersten Mal ein Häuschen auf einem Campingplatz. Holzbauweise und absolut passend zu unserer «Vorhang-Auf-Tour», Stockbett, Zustellbett, Kochnische, alles wie noch aus den Zeiten vor dem Fall. Sehr ehrlich. Ein weiteres Highlight: Zum ersten Mal richtige Körperpflege! Unser Abendprogramm: Ein Erfrischungsgetränk mit dem übererfrischtem Ari im lokalen Pub und in unserer Hütte kommen heute Rentierwürste in die Pfanne! Einen Schönheitsfehler gibt es auch heute: Inzwischen schüttet es aus offenen Schleusen und unsere Wäsche hängt noch vor dem Häuschen, während wir uns in der Dorfkneipe vergnügen!

Unabsichtliche Mitternachtssonne, norwegische Infrastruktur und Asia-Nudeln


3. Tag: Mittwoch, 20. Juni

Strecke: Grense Jakobselv – Hesseng – Neiden

Streckenlänge: 91 km

Unabsichtlich die Mitternachtssonne miterlebt, diesmal unverdeckt und pünktlich. Schlafen mit aufgedrehtem Licht geht gar nicht, auch die zweite Nacht war zach. Und auf einmal war vor der Zelttüre die Hölle los. Unzählige Wohnmobile säumten die Straße, schütteten wild drauflosfotografierende Menschen aus und waren am selbigen Morgen wieder verschwunden.
Der «Eiserne-Vorhang-Kilometer-Null» ist also erreicht, jetzt – MUSS nicht WILL – die gleiche Strecke Richtung Kirkenes wieder retour gefahren werden, es gibt nur die eine einzige Straße. Auf einer Länge von 10 Kilometern ist Norwegen von Russland nur von einem kleinen, knietiefen Fluss getrennt. Illegale Grenzübertritte wären ein Kinderspiel. Neben einer Schotterpiste fadisieren sich zwei Militärposten und freuen sich über jede Abwechslung, auch über Faltradfahrer. Eine übergroße Hinweistafel warnt vor bilateralen Verletzungen wie «Kontaktaufnahme» mit dem Gegenüber. Heute verstecken sich die kahlen Berge hinter Nebelwänden, es hat spürbar abgekühlt, beim Treten wird der heiße Atem sichtbar. Eine kurze Mitfahrgelegenheit drängt sich auf und wird dankbar angenommen. Ab Hesseng wird wieder bromptonisiert, die äußerst unromantische Hauptstraße E6 bringt uns nach Neiden. Die Hoffnungen auf Einkaufsmöglichkeiten und eine Kneipe mit Internetz bleiben unerfüllt. Dörfer in Norwegen haben oftmals nur ein paar Häuser und ein Ortsschild. Die Ortschaft Munkelv besitzt nicht einmal ein Haus, sondern nur eine Tafel. Neiden dagegen hat einen beschaulichen Wasserfall, eine Holzkirche und zwei geschlossene Wirtshäuser, vor einem davon stehen unsere Zelte. Aus Ermangelung an Alternativen gibt es heute Asia-Nudeln.

Fertigkost, das Dorf am Ende der Welt und ein Engel


2. Tag: Dienstag, 19. Juni

Strecke: Kirkenes – Grense-Jakobselv

Streckenlänge: 60 km

Mit kochen war nix, weil erstens Regen und zweitens kein Gas. Dafür gönnten wir uns in Kirkenes zwei Erfrischungsgetränke zu norwegischen Preisen: 2 Bier = 18 Euro! Eine Stunde zu spät, also um Eins in der Nacht/Früh zeigte sich dann doch noch die Mitternachtssonne. Unsere Schlafstadt steht am See nahe dem Zentrum von Kirkenes, rund um uns jede Menge Federvieh, das bei so viel Licht genauso wenig schlafen kann und dabei dauernd den Schnabel offen hat.
Neuer Tag, neues Glück. Einkaufen vor dem Frühstück, eine Gaskartusche wechselt den Besitzer. Die heutige Etappe ist quasi die Aufwärmrunde zur Tour. Bis zum Kilometer Null in Grense-Jakobselv sind es sehr hügelige 60 Kilometer. Kurz nach Kirkenes verschwinden die Autos und es bleibt ein leeres Asphaltband vorbei an Seen, Fjorden, Buschwäldern und kargen Bergen. Immer wieder verstecken sich übriggebliebene Schneereste in den Schattenplatzerln. Nahe der russischen Grenze an einem See wird das Kochgeschirr ausgepackt. Das schmucke Restaurant hat noch geschlossen, die Terrasse wird daraufhin besetzt. Die Liebste, also meine Liebste/Konstis Mutter, hat es sehr gut gemeint mit uns, ein riesen Sack an Fertiggerichten erschwert das Reisegepäck. Es gibt Nudeln mit Käsesauce, das Nudelwasser spendet der See.
Grense-Jakobselv liegt am Ende einer «Sackgasse»: rechts breitet sich Russland aus und links und dahinter macht sich die Barentssee breit, ein Dorf am Ende der Welt. Apropos Dorf, eines ohne Gastwirtschaft, ohne Einkaufsmöglichkeit, ohne Alles, außer Möwen und Gelsen und einer traumhaften Kulisse. Die Zelte stehen erhöht auf einem Hügel, das Meer im Blick, die Wellen im Ohr! Das schönste zum Schluss, ein norwegischer Engel versorgt uns mit Erfrischungsgetränken! Jetzt fehlt nur noch das offizielle «Tourstart-Team-Foto» mit allen Hauptdarstellern: Fahrer, Rad, Haus.

Drinks for free, das Elend Anreisetag und endlich Kirkenes


1. Tag: Montag, 18. Juni

Strecke: Wien – Oslo – Kirkenes (Flug)

Drinks for free, das Elend Anreisetag und endlich Kirkenes

Die Tragödie Anreisetag ist in vollem Gange. Obwohl, begonnen hat alles sehr gediegen. Mein jugendlicher Reisebegleiter «Konsti-Monsti» (eine intimere Vorstellung folgt in den nächsten Tagen) besitzt den richtigen Zugangscode zur «Sky-Lounge» – Whiskey, Sprudel, Trallala! – da war die Welt noch in Ordnung. Die weiteren Stationen: Flugvogel – Oslo – Räder neu einchecken – noch einmal die Sicherheitsprozedur – freche Norweger – Warten – weiter warten – Verzweiflung – Flugvogel und endlich nach weiteren langen zwei Flugstunden zeichnet sich Kirkenes unter uns ab. Inzwischen ist der Tag auch fast schon wieder zu Ende, allerdings bei Festbeleuchtung: In Norwegen geht um diese Jahreszeit die Sonne nicht unter. Also, wir haben 21 Uhr, es ist taghell, einziger Schönheitsfehler, eine dicke Wolkenschicht verdeckt den rot-orangen Scheinwerfer. Schlimmer noch, es regnet! Für uns geht’s jetzt erst richtig los: Räder zusammenfalten, Gas zum Kochen besorgen, Zeltplatz finden, aufbauen, kochen, essen … und Baba!

Nur noch 7 Mal schlafen


Montag, 11. Juni

Die Räder sind getuned (Danke Dominik/Cooperative Fahrrad!), die Camping-Ausrüstung aufgestellt, um Kochgerätschaften erweitert und auch die neue Regenhaut sitzt perfekt (Danke Mirjam & Robert/Treksport!) Darüber hinaus hat Freund Dieter seine Angelausrüstung zur Verfügung gestellt – Danke sehr vielmals! Bis dato hatte ich noch keinen Fisch an der Leine und die freche Verwandtschaft hat gespottet: «Dann kauf dir doch einen!» Diesmal muss es klappen, die Alternative heißt: hungern!
Und, ich habe einen jungen Reisebegleiter, mein «Buam» Konstantin, Rufname «Konsti-Monsti».
Ab kommenden Montag geht es über Oslo nach Kirkenes und von dort an den letzten norwegischen Zipfel, unseren offiziellen Startpunkt direkt an der russischen Grenze an der Barentssee. Die Strecke von St. Petersburg bis zum Schwarzen Meer immer entlang des ehemaligen «Eisernen Vorhangs» (EuroVelo 13) ist bereits abgeradelt, jetzt fehlen nur noch die letzten 2.000 Kilometer von Grense Jakobselv/Barentssee (NOR), durch ganz Finnland bis St. Petersburg (RUS). Nur noch 7 Mal schlafen, dann lassen wir die Räder rollen!

Aufsteigen und mitradeln, begleitend zur Reise gibt es – so das Internetz will – einen täglichen Blog.

Alles Liebe
Mario

Vorwärts Berlin, Wiedersehen mit Freund Ernst und ein erstes Erfrischungsgetränk in der Lieblingskneipe


5. Tag: Freitag, 15. Dezember

Strecke: Neustadt/Harz – Berlin

Letzte Nacht hat es nicht geregnet, es hat geschneit. Aber inzwischen macht sich Routine breit, es war eine wunderbar kuschelige Zelt-Nacht.
Harz baba, auf nach Berlin! Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn im entspannten Einheits-km/h-Bereich macht irgendwie traurig, schön traurig. Hirsch Fisch haben den perfekten Soundtrack dazu: «I geh obi an di Donau, bind ma an Stan uman Hols, hupf ins koite Wossa, im Winta is koit!» Irgendwann ist es mit dem melancholischen Dahingleiten vorbei. Der viele Verkehr, die endlosen Baustellen und 100 Kilometer vorm Ziel ist ganz Schluss mit Lustig! Ein Unfall direkt vor meiner Schnauze. Zum Glück nur kaputtes Blech. Rund um Berlin wird eifrig gebaut, im Schritttempo nähert sich die Stadtgrenze. Geschafft, die Einfahrt ist wie nach Hause kommen, Köpenik, Treptow, Friedrichshain, Prenzlauer Berg. Auf der Greifswalder Straße grüßt Freund Ernst (Thälmann) den sozialistischen Gruß, ich grüße freudig zurück. Die Liebste ist bereits angekommen. Unser Bett steht für die nächsten Tage in Prenzlauer Berg, dort wo sich keine Tourist_innen hinverirren. In meinem Lieblings-Tschocherl, pardon, meiner Lieblings-Raucher-Kneipe gibt es zur Belohnung ein Berliner Pilsner. Der Mützenträger am Nachbartisch hält seinem Gegenüber einen Muschi-Vortrag, Einzelheiten würden zu weit führen. Zeit zu gehen, unsere Berliner Freund_innen warten!

Eine nasskalte Nacht, die Dörfer-Tour und klopf auf Holz!


4. Tag: Donnerstag, 14. Dezember

Strecke: Neustadt/Harz – Teistungen – Böseckendorf – Duderstadt – Ecklingerode – Brehme – Neustadt/Harz

Die ganze Nacht trommelt der Regen auf die Zelthaut, in der Früh wird der Regen zu Schnee. Das Zelt ist waschelnass – außen – im Inneren regiert die trockene Kälte. Der Gaskocher wird im Beifahrer-Fußraum des ebenfalls gut gekühlten Kleinwagens angeworfen – Kaffee only – Hauptsache was Warmes. Beim Frühstück im gut aufgeheizten Campingplatz-Imbiss erzählt die Wirtin die Vertreibungsgeschichte ihrer Familie. 1947 von Wolin (Polen) nach Deutschland, in Thüringen war Endstation. An ihre Heimat hat sie keine Erinnerung mehr, sie war damals gerade erst geboren. Ihre Geburtsstadt durfte sie erst nach der Wende wiedersehen. An die DDR-Zeiten denkt die rüstige Senior-Chefin ohne Groll: «Es gab auch viel Gutes, nur heute im wiedervereinigten Land sind wir Ostler Deutsche zweiter Klasse.»
Heute wird ein Reise-Stopp-Tag eingelegt und die nähere Umgebung abgefahren. Entlang des «Grünen Bandes», die Dörfer-Tour: Böseckendorf, wo am 2. Oktober 1961 knapp die Hälfte der Dorfeinwohner in den Westen geflohen sind. Teistungen und sein Grenzlandmuseum. Eklingerode. Brehme, von wo aus Siegfried Rothensee (siehe gestrigen Blog-Eintrag) im weißen Hemd durchs Moor die Seiten gewechselt hat. Viele Hügel, viele Felder, viel Landschaft. In den Dörfern gibt es maximal einen Bäcker, aber keine Gaststuben für Fest- und/oder Flüssignahrung. Eine Skurrilität am Rande: Eine Ortschaft mit nix und zwei Friseuren! Die letzte Station vor meiner Zeltstadt ist die Kleinstadt Nordhausen. Fachwerkhäuser treffen auf Baustellen und Baulücken, alles sehr zerrissen.
Klopf auf Holz – mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte, eine äußerst sympathische Angewohnheit in ostdeutschen Gaststätten, zur Begrüßung oder Verabschiedung. Und schon wieder ist das Licht aus, was folgt ist die Suche nach Nahrung und der darauffolgende Rückzug in den Schlafsack. Morgen wartet Berlin, die «Haberer_innen» Ronald und Ursula sowie ein frisch gemachtes Bett.

Graue Theorie, Abfahrt Lederhose und eine Republiksflucht


3. Tag: Mittwoch, 13. Dezember

Strecke: Gössitz – Teistungen – Neustadt/Harz

Vorstellung und Wirklichkeit sind nicht miteinander verwandt! Die Realität der letzten Nacht: 18 Uhr, Camping-Wirtshaus sperrt zu. 18.30 Uhr, eingraben in den Schlafsack. 22 Uhr, erstes Mal ausgeschlafen. 02 Uhr, zweites Mal ausgeschlafen. 03 Uhr, raus in die Kälte, pinkeln bei Temperaturen unter Null. 06 Uhr, endgültig wach. Morgentoilette. Die Zähne klappern. 07 Uhr, mit dem Gaskocher Kaffee kochen.
Heute keine Experimente, keine verführerischen Landstraßen, nur kurz durch das zart verschneite Thüringer Vogtland, dann ganz pragmatisch rauf auf die Autobahn. Mit «Hirsch Fisch» kommt die gute Laune zurück – «In da Toschn, drinn is a Foto, do is ana drauf der freindlich locht». Auch die Autobahn-Abfahrt «Lederhose» sorgt für Heiterkeit. In Teistungen bei Duderstadt, direkt an der ehemaligen Deutsch-Deutschen-Grenze, wartet Siegfried Rothensee um von seiner Republiksflucht aus der DDR zu erzählen. Inzwischen sind 53 Jahre vergangen, beim Erzählen kämpft Siegfried Rothensee noch immer mit der Geschichte. Sein Bruder ging für einen gescheiterten Fluchtversuch mehrere Jahre in den Knast. So viel Zeitgeschichte braucht seine Zeit, die Sonne hat sich längst verabschiedet, Schneeregen begleitet mich zur heutigen Schlafstation. Mein mobiles Haus steht in Neustadt/Harz. Autoscheinwerferlicht hilft beim Aufbau. Es schneit. Jetzt noch eine echte Thüringer Bratwurst und ab in den Schlafsack.