Langer Tag, kurzer Blog


  1. Tag: Montag, 21. September

Strecke: Rydzewo – Mikołajki – Ruciane Nida – Karwica – Wiartel

Streckenlänge: 85 km

Die Tage wiederholen sich, alle Bilder waren irgendwann schon einmal gesehen. Das Vorhaben heute nur Asphaltwege zu befahren war nicht durchzuhalten – unterm Strich halbe-halbe – das Stimmungsbarometer war auch schon einmal in anderen Sphären. Das Mobilheim steht wieder einmal solo am Platz, die Beine sind müde, die Birne auch. Langer Tag, kurzer Eintrag, gute Nacht.

Eine graue Decke, eine Schifferlfahrt und eine ungeplante Tortur am Tag des Herrn


  1. Tag: Sonntag, 20. September

Strecke: Rydzewo – Mikołajki – Rydzewo

Streckenlänge: 36 km

Weitblick ade, der See versteckt sich unter einer dichten hellgrauen Decke. Das Mobilhaus bleibt heute auf seinem Platz, Rad und Fahrer besteigen ein Ausflugsschiff in Richtung Mikołajki, im Rückblick ein Fehler: Schifferlfahrten über zwei Stunden haben etwas Grausames an sich, vor allem bei Temperaturen um die zehn Grad und das in kurzer Hose. In einem der Kanäle wettstreiten Angler_innen im Rahmen einer Competition um den fettesten Fisch.
Das ehemalige Fischerdorf Mikołajki hat sich zu einem Zentrum entwickelt und ist auf Tourismus gebürstet: Hotelanlagen, Hafenpromenade, Souvenir-Kitsch, Ess- und Trinkmeile. Inzwischen hat sich die Wolkendecke gelüftet und die Temperaturen klettern in den Wohlfühlbereich. Trotzdem hält sich das Bedürfnis zu verweilen in Grenzen. Gemütlich auf zwei Rädern und auf Nebenrouten wird die Spur aufgenommen zurück zum Mobilheim. Mr. Google berechnet für seinen Routenvorschlag knappe eineinhalb Stunden. Eine Spazierfahrt. Es kommt anders, kurz nach der Stadtausfahrt endet der Asphalt, es beginnt eine Tortur auf größtenteils Sandstraßen unterbrochen von Abschnitten ausgelegt mit dem gefürchteten Kopfsteinpflaster aus Vorkriegszeiten. Durch Wälder und Prärie, ohne Menschen, ohne Tränke verschlingt die vermeintliche Sonntagsausfahrt ganze drei schweißtreibende Stunden bis zum besten Bier der Welt. Morgen wird auf Romantik gepfiffen und auf asphaltierte Hauptrouten vertraut!

Quasi Quarantäne, von See zu See und ein lebendiges Dorf


  1. Tag: Samstag, 19. September

Strecke: Węgorzewo – Giżycko – Rydzewo

Streckenlänge: 42 km

Die Tage wiederholen sich, Instant-Kaffee vom Gaskocher am menschenleeren Campingplatz. Einzig ein Arbeiter hat sich der Aufgabe gestellt eine Blechhütte mit frischer Farbe zu versehen. Leiter gibt es keine und um die höheren Lagen zu erreichen wird gestapelt – ein Podest, darauf ein wackeliger Sessel – sehr kriminell! Bis zur Abreise ist nichts passiert …
Auch im Kerngebiet der Masurischen Seenplatte bewegen sich nur wenige Menschen. Herbst? Corona? Auf welcher Farbe die Corona-Ampel auch stehen mag – wurscht! – auf Nord-Polen-Reise gibt es so gut wie keine Kontakte. Quasi Quarantäne.
Ein See folgt dem nächsten. Gefahren wird auf Asphalt, Sandwegen und Kopfsteinpflaster. Bei den Sandwegen ist Gefühl gefragt, sonst vergraben sich die Reifen, ein Geduldspiel. Auch das grobe Kopfsteinpflaster bringt keinen Frohsinn, großteils stammt es aus Zeiten vor dem letzten großen Krieg, als die Masuren noch ein Teil Deutschlands waren. Giżycko ist eines der Zentren zwischen den vielen Seen und es gilt selbiges wie für alle bisherigen Kleinstädte – schnell wieder raus aus der Stadt und rein in’s Land. Die heutige Endstation ist anders: Ein See (Boczne See), ein kleines Nest entlang einer Nebenstraße, ein Campingplatz mit Besucher_innen. Darüber hinaus vier geöffnete Gaststätten, eine davon mit Live-Musik unter freien Himmel. Nix mehr Isolation, trotzdem bleibt alles im „Grünen Bereich“!

Der Green Velo, eine Überdosis Landschaft und ein realsozialistischer Campingplatz


  1. Tag: Freitag, 18. September

Strecke: Gołdap – Bani Mazurskie – Węgorzewo

Streckenlänge: 64 km

Der Gołdap-See, der bis über die Grenze nach Russland reicht, liegt ausgebreitet wie eine Decke vor einem völlig ausgestorbenen Campingparadies. Im Wasser baden Wildenten in der Morgensonne.
Schon seit Beginn der Reise kreuzt immer wieder der Green-Velo-Radweg die eingeschlagene Spur, so auch in Gołdap. Diesmal wird das Angebot angenommen. Der «Green Velo» (https://greenvelo.pl) führt über 1885 Kilometer von Elbląg im Nordwesten an der Ostsee bis knapp an die slowakische Grenze im Südosten des Landes. Immer entlang der Grenze und perfekt ausgeschildert! Somit verlegt sich die heutige Etappe vom Asphalt der Landstraßen auf Schotter- und Wald-Straßen durch eine Überdosis an Landschaft. Dörfer müssen durch Abweichungen von der Route extra angefahren werden. Einmal abgebogen vom grünen Band, rollen die Räder samt gut durchgeschütteltem Fahrer in Węgorzewo ein. Wenige Kilometer außerhalb der Stadt liegt Camping Rusałka direkt am Święcajty-See. Der Campingplatz war Schauplatz in einem Arno Surminski Roman, «Polninken», einer tragischen Liebesgeschichte zwischen Ost- und West-Deutschland – Empfehlung! Teilweise präsentiert sich Rusałka wie anno dazumal in realsozialistischen Zeiten.
Schluss jetzt, es ist höchste Zeit: Körper- und Wäsche-Pflege sind dringend notwendig.