Badewanne der Berliner, endlich Entspannung und wunderbare Fischbrötchen


15. Tag: Dienstag, 27. Juni

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Strecke: Ostseebad Karlshagen – Peenemünde – Freest – Seebad Lubmin – Greifswald

Streckenlänge: 73 km

Obwohl ich jetzt schon seit zwei Wochen an der Ostsee unterwegs bin, war ich noch kein einziges Mal baden. Erst hat das Wetter nicht gepasst, jetzt mag ich grad nicht. Usedom wird auch die „Badewanne der Berliner_innen“ genannt und wo schon so viele Menschen sich gesäubert haben, steck ich meine Zehen nicht mehr rein. In der Campingstadt, werde ich vom Nachbar-Wohnwagen auf ein Abendbrot eingeladen und erfahre allerlei Geschichten von geländegängigen Fahrzeugen und übers Campen vom Profi. Mein Gegenüber hat für jede Aufgabenstellung das passende Werkzeug parat.
Heute rollt alles perfekt, fahrbarer Untergrund auf allen Wegen. Eine landschaftlich sehr schöne unaufgeregte Strecke führt den Pennestrom runter dann rauf und durch ein Fischerdorf  – Freest – das den Namen auch verdient und noch nicht zum Seebad verkommen ist. Es gibt auch ein Seebad (Lubmin) an dem der große Zirkus anscheinend vorbeigezogen ist, auf der obligatorischen Seebrücke – niemand da! Das Tagesziel Greifswald wird schon am frühen Nachmittag erreicht. Heute schlaf ich wieder einmal in einem festen Bett, vorher stehen Restaurierungsmaßnahmen auf dem Programm: Körper- und Wäschepflege, Schlafsack ausstinken lassen, … An der Ryck, der Greifswalder Verbindung mit der Ostsee, darf ich heute einmal in Ruhe, bei einem Erfrischungsgetränkt, Blog schreiben.
Allfälliges: Seit gestern kann ich mich wieder im gewohnten Maße verständlich machen, gleichzeitig verstehe ich auch alles, was nicht immer von Vorteil ist. Kulinarisch waren die ersten zwei Wochen eher als Nahrungsaufnahme zu verbuchen. Ab sofort gibt es Fischbrötchen und Würzfleisch – großartig! Einzig die Fischbratwurst?!, die geht gar nicht!

Geschundene Waldwege, ein weiterer Länderwechsel und der „Geschmack der Gerechten“


14. Tag: Montag, 26. Juni

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Strecke: Dziwnów – Międzyzdroje – Świnoujście (PL) – Seeheilbad Ahlbeck (D) – Ostseebad Karlshagen

Streckenlänge: 92 km

So richtig warm ist es in den letzten Tagen nur im Schlafsack. Achtzigerjahre-Klänge aus der Disco nebenan dröhnen mich in den Schlaf.
Der Tag beginnt auf Wegen weg vom Wasser durch das Land, durch Kastanienalleen, vorbei an Feldern durch kleine Dörfer. Ein Loblied auf den „Sklep“, jede kleinere Ortschaft hat einen, diese Mini-Märkte bieten alles, vom Klopapier bis zur Wurstsemmel. Die letzten polnischen Kilometer haben noch einige Überraschungen auf Lager, vom Regen geschundene Radwege, sowie nicht ganz eindeutige Angaben in meinem Radbuchbegleiter verleiten mich beinahe zu einer ausufernden Extratour. Das Wetter hat sich positiv eingerenkt und die Grenzstadt Świnoujście ist in Reichweite. Die polnische Etappe hat uns beide, mein Brompton und mich, teilweise an unsere Grenzen gebracht – Wetterverirrungen, Sandpisten, fehlende Zeit – trotzdem will ich keinen Kilometer missen. Seitenwechsel. Über der Grenze dasselbe Bild, auch in den deutschen Seebädern steppt der Bär. Die Hotels und Villen heißen Kaiser Wilhelm oder Germania, davor wird Störtebecker-Bier – „der Geschmack der Gerechten“ – ausgeschenkt. Der Kapitalismus hat keinen Genierer! Nach den ersten drei großen Seebädern führt ein Waldweg hinaus aus dem Wahnsinn, sehr romantisch wenngleich weniger abenteuerlich als auf polnischer Seite, ich weiß es zu genießen. Der heutige Campingplatz ist eine penibel durchorganisierte Kleinstadt deutscher Gründlichkeit – schlafen werd ich trotzdem gut.

Luxusprobleme, Dauerregen und pure Wut


12. Tag: Samstag, 24. Juni

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Strecke: Rowy – Ustka – Darłówko – Dabki – Dabkowice – Łazy

Streckenlänge: 95 km

Trotz mentaler Bestform geht mir gerade alles, um es kindergerecht zu formulieren, auf den Geist: die Kirtagsdörfer mit Strandzugang, das ganze Souvenirgerümpel, kein Internetz, die zu befahrenden Untergründe, die Radwegbeschriftungen, das Wetter, … Alles Luxusprobleme. Trotzdem! Heute ist kein Tag für Fahrrad-Romantik, heute wird nur auf die Kilometerleistung geachtet. Keine Radwege, Bundesstraße! Überlandregen in allen Abstufungen, um die Mittagszeit in Darłówko bin ich nass bis auf die Knochen. In der Mittagspause setzt der Regen aus, um sich rechtzeitig zur Abfahrt wieder wichtig zu machen. In Dabki tobt wieder der Zirkus. Rege Bautätigkeit. Der letzte Ost-Charme wird beseitigt um eine Vergnügungs-Wunderwelt mit Meerblick aus der Erde zu stampfen. Radfahrtechnisch läuft alles rund, die letzten Kilometer reine Formsache. Nur, die Realität hat immer Überraschungen auf Lager. Die vermeintliche Spazierfahrt zur heutigen Liegestadt wird zum Härtetest. Ein reiner Sandweg über fünf Kilometer. Rad schieben ist schlimm, Rad samt Gepäck tragen ist die Hölle. Beim Schieben kommen sich mitunter auch die Pedale mit den Beinen in die Quere. Die darauffolgenden Schreie haben mit Schmerz nichts zu tun, purer Zorn! Mein „Bobo-Porsche“ (© Reinhold Schachner) weiß mit fast allen Bodenbeschaffenheiten umzugehen, nicht mit Sand! Apropos Brompton, mein Zweirad löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus, von ungläubigem Kopfschütteln bis Daumen hoch. Manche halten es im gefalteten Zustand für einen Rollstuhl, andere Fragen „Und wo ist der Motor?“, und die beste Meldung bis dato – „Where you do want to go with this?!“. Schau ma mal, was der morgige Tag zu bieten hat …

Ein Meer aus Sand, schieben statt rollen und das nächste Jahrmarktsdorf


11. Tag: Freitag, 23. Juni

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Strecke: Łeba – Izbica – Kluki – Smołdzino – Rowy

Streckenlänge: 74 km

Spätabends, wie auf Knopfdruck sind alle Menschen verschwunden und alle Läden dicht. Auch die Köch_innen machen Feierabend. Mit Mühe bekomme ich eine Pizza. In der Nacht kommt er dann doch noch, der Regen. Da lieg ich aber schon fest eingepackt in meinem Schlafsack, sehr romantisch.
Der frühe Vogel fängt den Wurm, so mache ich mich schon sehr zeitig auf den Weg zu den Wanderdünen von Łeba, ein Extra-Ausflug von tour-retour 20 Kilometern. Die Nationalpark-Kasse hat noch geschlossen und ich wandere alleine durch ein Meer aus Sand, am Rückweg trudeln die ersten Besucher_innen ein. Weiter die eigentliche Route: Durch den Wald, durch Wiesen und Felder, durch vergessene Dörfer. Die Untergründe werden immer ausgefallener. Auf Sandwege folgen Betonplattenwege und diese enden auf Pfaden durch Sumpfwiesen. Es wird oft geschoben. Ab dem Freilicht-Museums-Ökodorf Kluki kündigt sich wieder eine Kurzstrecke Asphalt an. Der Segen hält nur kurz, es folgen Betonplatten- und Sandwege bis zu meiner heutigen Bettenstation, einem dubiosen Campingplatz in Rowy, einem weiteren Jahrmarktsdorf mit Meerzugang. Zusätzlich hab ich noch eine unfreiwillige Ehrenrunde eingebaut – schon wieder verfahren! Die Hafenkneipe versöhnt mich mit dem Tag, bis der große Wolkenbruch kommt. Gut eingeweicht versenke ich mich in meinem Schlafsack, um von Sand- und Betonplattenwegen zu träumen.
Zum Schluss noch eine Beobachtung: Polnische Radler_innen besprayen neben ihren Körpern auch ihre Räder mit Gelsen-Abwehr.

Ein Schiff wird kommen, Trubel bis Einsamkeit und eine Routenänderung


 

10. Tag: Donnerstag, 22. Juni

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Strecke: Gdynia – Hel – Chałupy – Debki – Sasino – Łeba

Streckenlänge: 110 km

Hab’s von meinem „Blues Room“ gerade noch runter ins „Blues Pub“ geschafft. Kein Stadtrundgang, keine frischen Fotos, keine Strandpromenade, stattdessen Jam-Session, Burger und Bier. Trotzdem bin ich noch weit früher als die Sonne schlafen gegangen, wieder aufgestanden bin ich vor ihr.
„Ein Schiff wird kommen“, davon wusste schon Lale Andersen ein Lied zu singen, meines kam erst um Zehn. Wertvolle Radstunden werden mit warten verplempert. Eine Gruppe Teenager feiert während der Überfahrt nach Hel ausgelassen das Leben.
Es warten über 100 Kilometer und nicht immer hält die bevor liegende Strecke das, was die Radkarte mir glauben macht. Hel ist der touristische Kopf einer 34 Kilometer langen Landzunge zwischen Ostsee und Putziger Wiek, eine einzige Tourismus-Meile. Zwischen den Hotspots verläuft der Radweg durch den Wald oder entlang des Putzieker Wiek. Abseits der Strecke immer wieder Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, Bunkeranlagen mitten im Wald. Die heutige Strecke hat es in sich, Kalt-Warm auf allen Wegen: Auf hohes Verkehrsaufkommen und Menschenmassen folgt die Einsamkeit. Auch die zu befahrenden Untergründe spielen alle Stücke, von Asphalt, Wald-, Schotter-, Kopfsteinpflaster- bis zu Sand-Wegen alles im Programm. Dem nicht genug, nehme ich auch noch eine ungewollte Routenänderung vor. Verfahren! Das Hoppala endet im Sand, Schrittgeschwindigkeit und teilweises Schieben. Kurz vor Sonnenuntergang roll ich dann doch noch in Łeba ein. Ein harter Arbeitstag und übrigens, angesagte Unwetter finden nicht statt, Sonne und harmlose Wolken, kein Regen.

Kalte Dusche, Solidarność und in Gdynia hängen geblieben


9. Tag: Mittwoch, 21. Juni

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Strecke: Jantar – Danzig – Sopot – Gdynia

Streckenlänge: 57 km

Warmes Wasser gibt es erst ab acht Uhr, so muss der Körper mit kaltem Wasser gesäubert werden. Dafür freu ich mich auf warmen Kaffee zur ersten Pause.
Die Weichsel wird überquert und die Tote Weichsel führt an die Ränder von Danzig. Die Stadteinfahrt gestaltet sich gewohnt mühsam, es wird gebaut wie wild, in der Innenstadt das übliche Geschiebe, alles drängt sich um den Neptunbrunnen. Die Ränder wären interessanter, nur dazu fehlt die Zeit. Aber, ein Besuch muss sich ausgehen: Das Tor 2, der ehemaligen Danziger Lenin-Werft. Das Werkseingangstor ist renoviert und davor steht ein 40 Meter hohes Denkmal zur Erinnerung an die 1970 bei Protesten getöteten Werftarbeiter. Die Gewerkschaftsbewegung Solidarność, eine wichtige Kraft der politischen Wende 1989. Heute ist der „Plac Solidarności“ eine Gedenkstätte. Der Hackler-Eingang, der noch immer bestehenden Danziger Werft, liegt unweit dahinter und für ein Solidaritäts-Bier in der Werkskantine muss Zeit sein!
Stop-And-Go, fotografieren und treten. Im nahegelegenen Sopot, der Côte d’Azur von Polen, ein ganz anderes Bild: Noble Hotels, Strandcafés, Seebrücke, Bernsteinkult. Schnell weiter nach Gdynia, um noch die Fähre nach Hel zu erwischen, zu viel Trubel rundherum. Zu spät, nächste Fahrt morgen zehn Uhr und Campingplatz gibt es auch keinen. Viel zu wenige Kilometer gemacht – ein Frust-Bier – später finde ich ein freies Bett in den „Blues Rooms“.

Goodbye Lenin, Grenzproblemchen und Füße in den Sand


8. Tag: Dienstag, 20. Juni

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Strecke: Kaliningrad – Mamonowo – Braniewo – Frombork – Elbag – Stegna – Jantar

Streckenlänge: 151 km

Eine Radreise ist kein Städte-Trip. Die Eindrücke stapeln sich und bleiben unverarbeitet. Und dann wäre da noch die fremde Schrift: Wer nicht lesen kann muss fühlen! In einem Wirtshaus werde ich durch heftiges zuprosten aufgefordert den Tisch zu wechseln. Das junge Paar kommt aus Birobidschan, von Kaliningrad über 9.000 Kilometer weit entfernt, nahe der chinesischen Grenze, Wladiwostock ist auch nicht mehr weit. Sie machen Urlaub. Es wird getrunken, gelacht, Fotos gezeigt, nur die sprachliche Konversation will nicht funktionieren. Eine Übersetzungs-App hilft.

Genosse Lenin steht noch immer auf seinem Sockel und wärmt sich in der Morgensonne – Goodbye! Raus aus der Stadt, wieder rein ins Land. Aufgrund des starken Verkehrs wird bis zum grenznahen Mamonowo wieder Bus gefahren, ein weiterer Länderwechsel mit Passkontrolle wartet. Der Grenzübertritt nach Polen verläuft nicht reibungslos. Natürlich radle ich an der langen Autoschlange vorbei und überfahre ein Stopp-Schild. Da kennt der Grenzer keinen Spaß, darüber hinaus hat sich eine Packung Zigaretten zu viel in meinem Gepäck verirrt, aber auch das wird mit Charme gebügelt. Der heutige Tag gestaltet sich zerrissen, restliche Rubel ausgeben, Grenzübertritt, frische Złoty einkaufen, es ist an der Zeit Kilometer zu machen. Das mit dem Planen hatten wir schon, es kommt immer anders: In Frombork sollte mich ein Schiff über das Frische Haff nach Krynica Morska übersetzen, der starke Wind hatte andere Pläne – kein Fährbetrieb. Ums Haff herum, ein grober Umweg. Eine sich mir bietende Bus-Mitfahrgelegenheit nehme ich gerne an. Am Ende des Tages wird doch noch alles gut, mein Ein-Mann-Haus steht auf einem Campingplatz in Jantar nahe Danzig und jetzt stecke ich die Füße in den Sand!

blaues Auto, rotweißrote Straßenbahn, orthodoxe Kirche

Die gute alte Passkontrolle, verbogene Bäume, Druschba!


7. Tag: Montag, 19. Juni

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Strecke: Nida – Rybatschi – Lesnoj – Selenogradsk – Kaliningrad

Streckenlänge: 88 km

Nida besticht durch seine reizvolle Lage, nur der Folklore-Kitsch nervt. Traditionelle bunte Häuschen verscherbeln Souvenir-Gerümpel. Auf einer Parkbank an der Uferpromenade wird mit Bier, Sprudel und Fisch-Snacks der Abschied von Hanka und Honza begangen. Es ist bitter kalt.

Von Nida sind es nur wenige Kilometer bis zur russischen Grenze. Der Oblast Kaliningrad grenzet an Litauen und Polen und ist als russische Exklave räumlich vom Mutterland getrennt. Es folgt – wieder einmal – die gute alte Grenzkontrolle: Stramm stehen, Blick gerade aus. Lachen verboten, mein Gegenüber verzieht keine Mine. Ich setze mein freundlichstes Gesicht auf, hilft genau gar nichts. Ein schleimiges „спасибо“ (Danke) und ich bilde mir ein den Ansatz eines Lächelns zu erkennen. Die einzige, anfangs sehr einsame Straße führt Richtung dem Seebad Selenogradsk. Ein gewohntes Bild, links Bäume, rechts Bäume und auf beiden Seiten vom Blick verborgenes Wasser. Mein Holzbedarf ist übererfüllt! Ein kleiner Abstecher führt zum “Tanzenden Wald“. Am Parkplatz reihen sich Holzbuden, alle mit demselben Bernstein-Klumpert. Außer mir niemand da. Der „Tanzende Wald“ erfüllt die Erwartungen nicht. Ein Holzsteg führt vorbei an verbogenen Bäumen. Von Selenogradsk besteige ich den Bus nach Kaliningrad, um mir die stark befahrene Hauptstraße zu ersparen. Genosse Lenin grüßt im vorbeifahren. Am Busbahnhof gilt es die morgige Busverbindung nach Mamonovo zu erfragen. Aber mit „Only-Englisch“ hat man in Kaliningrad den Schlauch. Mit Händen und Füßen wird auch diese Hürde genommen. Heute wartet wieder einmal ein richtiges Bett, aber zuerst lockt ein Stadtspaziergang. „Druschba“!

Durch den Märchenwald, hinauf auf „tote Dünen“ und Bestzeit im Zeltaufbau


6. Tag: Sonntag, 18. Juni

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Strecke: Giruliai – Klaipėda – Kurische Nehrung (Fähre) – Nida

Streckenlänge: 60 km

Sonntagmorgen – auf leichten Rädern und asphaltierten Wegen durch den Märchenwald. Auf der anderen Seite wollen wir betonierte Wege durch die Lobau (Wiener Naherholungsgebiet)? Egal, im Moment bin ich froh, es rollt! Von Klaipėda setzte ich über auf die Kurische Nehrung (eine 98 Kilometer lange Landzunge, 52 km gehören zu Litauen, 46 km zum russischen Kaliningrad). Die Fähre ist bummvoll mit Sonntagsausflüglern. Nach ein paar Kilometern verteilt sich alles und ich ziehe bald wieder alleine meine Spuren. Immer dem Wasser entlang, der Meerblick ist von Dünen fest verstellt. Der Proviant ist mir ausgegangen und Läden sind Mangelware, trockenes Brot tut es auch. Zwischen Juodkrantė und Pervalka breiten sich die „Toten Dünen“ aus, ein Naturschutzgebiet mit seltenen Pflanzen und einer Kormoran Kolonie. Das Faltrad wird angebunden, zu Fuß geht es über Holzwege und Sand.
Eine Runde „High Five“ während der Fahrt mit einer mir entgegenkommenden Horde von Fahrrad-Piraten, unterwegs auf höhergestellten, tiefergelegten und sonstigen Tret-Zweirädern. Die Handflächen glühen! Nida ist gleich erreicht, ein Camping-Platz bald gefunden und ich bin ein klein wenig stolz: Ein Radler-Kollege, gleichzeitig angekommen, baut neben mir sein Zelt auf. Während er noch sein Fundament bearbeitet, sitze ich schon bei einem Bier und blogge. Genug angegeben, heute treffe ich noch ein letztes Mal meine neuen tschechischen Freunde – Party, Party!

Rechenfrust, Länderwechsel und die Hölle von Palanga


5. Tag: Samstag, 17. Juni

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Strecke: Liepāja – Nīca – Šventoji – Palanga – Giruliai

Streckenlänge: 91 km

Vieleicht ist es schon aufgefallen, die Zeile Fahrzeit wurde ersatzlos gestrichen. Weil: Ich besitze keinen Radcomputer an Board und die Herumrechnerei mit Pausen, … geht mir auf die Nerven. Ich fahre praktisch den ganzen Tag abzüglich Nahrungszufuhr, bloggen, Zeltaufbau, Rad- und Körperpflege, … das geht weit über einen herkömmlichen Acht-Stunden-Tag hinaus, darum keine Fahrzeitberechnungen mehr!
Von Liepāja aus nehme ich heute die Hauptstraße und verzichte auf den romantischen dafür, aufgrund des gestrigen Unwetters, gatschigen Waldweg. Meine neuen tschechischen Freunde sind mir seit dem Kennenlernen jeden Tag begegnet. Irgendwann am Vormittag zieht der rote Skoda am schwarzen Brompton vorbei, bleibt stehen, es werden Freundlichkeiten ausgetauscht, fährt weiter, bis sich das Team Brompton tags darauf auf Grund des Frühaufsteher-Bonus wieder an die Spitze radelt.
Heute verabschiede ich mich von Lettland und tauche in Litauen ein. Ab Litauen ist der Ostseeradweg erstmals ausgeschildert. War Lettland noch recht verschlafen, herrscht in Litauen ab der ersten Ortschaft (Šventoji) touristischer Ausnahmezustand. Fressbuden reihen sich aneinander, Rundumbeschallung, Massenabfüllung. Selbst der idyllische Wald-Radweg nach Palanga wird zur verstopften Rad-Autobahn. In diesem Getümmel führt mich ein litauischer Bursche in die Landessprache ein: Hallo (Labas), Danke (Ačiū), Auf Wiedersehen (Ate). In Palanga mit seiner Seebrücke bricht dann endgültig die Hölle los. 360 Grad Halligalli! Fort mit mir. Mit jedem geradelten Kilometer beruhigt sich die Lage. In Giruliai finde ich kurz vor Klaipėda doch noch ein ruhiges Fleckerl mit Campingplatz im Wald. Ende gut, alles gut.