Ein Haus am Meer, planungsresistent und waschelnass


4. Tag: Freitag, 16. Juni.

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Strecke: Užava – Jūrkalne – Pāvilosta – Liepāja

Streckenlänge: 103 km

Die letzten vier Kilometer bis zum Schlafplatz waren eine Übung für Fortgeschrittene. Sehr sandige Straße durch den Wald, fahren – schieben – fahren … Dafür steht jetzt mein Haus auf einem Hügel mit Meerblick, darunter Sandstrand soweit das Auge reicht, keine Menschen, nur das Meeresrauschen und das Vogerlgezwitscher aus dem Wald. So viel Ruhe ist gespenstisch.

Die Morgenhygiene war nicht so romantisch, aber das würde zu weit führen. Über sandige Wege zurück auf die Piste. Rehe und ein Fuchs kreuzen meine Wege. Zum üblichen Panorama kommen noch fette Wiesen und Felder dazu. Das heutige Ziel ist Liepāja (ehemals ein bedeutender Handelshafen des Russische Reichs). Davor noch ein Exkurs zum Thema Planen: Als Kontrollfreak tu ich das sehr gerne, jeden Tag, und jeden Tag kommt es anders. Diese Reise ist planungsresistent, und das Schöne daran ist, es wird meistens besser. Kurz vor Karosta (ehemaliger Kriegshafen des Russischen Reiches und später der Sowjetunion) befinden sich noch Bunkeranlagen der Jahrhundertwende, den die Wellen inzwischen schon sehr zugesetzt haben, die letzte Station, das letzte Bild, dann brechen die Wolken. Waschelnass komme ich in Liepāja an. Heute gibt es ein Zimmer, Körperpflege ist angesagt und Johnny Cash kommt in die Handwaschmaschine, das Leiberl hab ich seit Dienstag am Körper, höchste Zeit …

PS: heute einige Impressionen unter Fotos

PPS: an dieser Stelle Dank an meinen Ausstatter („Treksport“ in der Stumpergasse 16), das Haus steht perfekt!

Lustige Getränke und Grillwürste, neuer Tag – das selbe Bild – eine verschlafene Stadt mit Kühen


3. Tag: Donnerstag, 15. Juni

Karte

Strecke: Kolka – Mazirbe – Ventspils – Užava

Streckenlänge: 111 km

Es ist dann doch ein Campingplatz geworden, das Meer nur einen Steinwurf entfernt. Der Wind erschwert den Aufbau der Liegestadt. Bei Bier, Wodka und Grillwürsten wird am letzten Zipfel von Lettland eine frisch geschlossene deutsch-tschechisch-österreichische Freundschaft vertieft. Eine Ukulele ist auch mit im Spiel und der einzige gemeinsame Nenner ist Karel Gott: “In einem unbekannten Land, vor gar nicht all zu langer Zeit, war eine Biene sehr bekannt …“ Wir übersehen die Zeit, weil es auch zu später Stunde nicht dunkel wird.
Am Kap Kolka, der nördlichsten Spitze des Kurlandes geht die Rigaer Bucht und Ostsee über. Ein neuer Tag, das selbe Bild: Wald, Straße, Wald, rechts das Meer. Diesmal sind es nur 85 Kilometer. Ortschaften gibt es heute keine, nur auf Umwegen. Meine neuen tschechischen Freunde haben länger geschlafen und holen mich auf der einzigen, unvermeidlichen Straße durch den Slītere Nationalpark ein. Ich kann das Angebot einer kurzen Mitfahrgelegenheit nicht abschlagen. Ventspils kündigt sich an. Ein im Vergleich zur Stadt riesiges Hafengelände, ein Schmuckkasterl von Altstadt, ein elendslanger Strand, sonst nix. Und überall stehn Kühe in der Gegend herum. Zum Verweilen ist mir Ventspils zu fad, ich verlasse die Stadt Richtung Užava, von Užava aus, vier Kilometer Richtung Meer soll ein Leuchtturm stehen, dort will ich heute Haus und Bett aufbauen.

Standbild auf 131 Kilometer


2. Tag: Mittwoch, 14. Juni

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Strecke: Jūrmala – Ragaciems – Engure – Mērsrags – Roja – (nahe)Kolka

Streckenlänge: 131 km
Fahrzeit: 7 h 45 min

Gestern ist auch noch mein Blog im dunklen Netz verschwunden … Heute ist wieder alles gut, sogar die Sonne traut sich aus der Deckung. Die Stadtausfahrt durch Jūrmala zieht sich ewig. Dannach wird es ruhiger, ein endloses Asphaltband in der Mitte, links Bäume, rechts Bäume, ganz rechts außen die Ostsee. Das Meer ist schüchtern es zeigt sich nur selten, obwohl fast immer in Griffweite. Die ersten Radreisenden sind mir begegnet, in der Gegenrichtung, den Wind im Rücken. Weiter geht’s, es sind noch zu viele Kilometer. Das Bild bleibt stehen: Straße, Wald, Dorf, Straße, Wald, Dorf und hin und wieder ein Meerblick. Das hat etwas beruhigendes, nur nicht auf 131 Kilometer. In den Ortschaften singen die Möwen. Fast jedes Dorf verfügt über einen Mini-Super-Mark, geöffnet von 8.00 – 22.00, für Rad-Reisende ein Traum. Das letzte Erfrischungsgetränk macht macht müde, es ist an der Zeit einen Schlafplatz zu suchen. Heute wird das Zelt eingeweiht!

Anfangen tut’s nicht gut


1. Tag: Dienstag, 13. Juni

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Strecke: Wien – Riga (Flug) – Flughafen – Jūrmala

Streckenlänge: 18 km Fahrzeit: 1 h

Der erste Fettfleck verewigt sich schon beim Frühstück in Schwechat auf der einzigen langen Hose im Reisegepäck. Auch bei der Faltrad-Überstellung gibt es Probleme, viele Augen müssen zugedrückt werden bis das Reisetransportmittel im Bauch des Flugzeugs verschwindet. Der Abflug verspätet sich um 40 Minuten und bei der Landung in Riga ist das Brompton nicht einsatzbereit. Der hintere Gepäcksträger ist arg verzogen, genauso wie der Kotflügel, das Hinterrad blockiert! Eine Reparatur mit meinem Minimal-Werkzeug scheint unmöglich. Endstation am Anfang? Meine innere Ruhe überrascht mich. Eineinhalb Stunden treten, biegen, schrauben und der Schaden ist behoben, das Brompton läuft wieder wie ein Glöckerl. Der Temperatursturz um 15 Grad sorgt auch nicht für Frohsinn. Regen auf allen Wegen. Eine Kurzstrecke geht es über die A10 (gar nicht fein) bis ein Radweg gefunden ist, der mich nach Jürmala führt, es bleibt nass. Genug, heute wird nicht gezeltet, ein Zimmer muss her. Jūrmala ist der Badestrand von Riga, Sandstrand über 15 Kilometer, putzige Holzhäuser, Villen und Burgen für betuchte Tourist_innen. Die Preise für Fest- und Flüssignahrung übertreffen die der Wiener Innenstadt. Die Fußgängerzone ist leer, nur vereinzelt zahlungswillige Reisende. Das Bahnhofs-Resti versöhnt mich. Trotzdem, ich will weiter …

Mir geht der Reis!


12. Juni

Nur noch ein Mal schlafen

Coole Sau hin oder her, mir geht der Reis (wienerisch für: sehr aufgeregt) … Das Probeliegen war ein voller Erfolg. Nur in der Früh war’s huschi, von unten kam die Kälte, dann der Schlafsack! Nicht nur als Unterlage, zu der Zipp und alles war gut und warm. Alle Taschen sind gepackt, die letzte Nacht schlaf ich dann doch in der Hütte. Morgen wartet eine der unangenehmsten Etappen der Reise, Flughafen, Rad einpacken, Flug, Flughafen, Rad auspacken, …

Fang die Luft, Probeliegen unterm Marillenbaum


11. Juni

Noch zwei Mal schlafen

Knapp über acht Minuten und das Haus steht. Jetzt gehört nur noch das Bett gemacht. Fang die Luft! Mit einem Plastiksack wird Luft gefangen und per Armdruck in die Liege befördert. Fangen, drücken, fangen drücken und das Bett ist liegefertig. Das „Schöner-Leben-Gefühl“ ist perfekt. Danke Treksport! Probeliegen unterm Marillenbaum, noch ist alles ein Spaß, die Schrebergartenhütte und ein herkömmliches Bett sind nur drei Schritte entfernt. Jetzt rein mit mir und Augen zu.

Ein ganzes Haus, samt Bett im Taschenformat


10. Juni

Noch drei Mal schlafen …

Ich hab leicht lachen, die Ausrüstung steht. Diesmal gibt es Zusatzgebäck neben der Minimal-Grundausstattung. Um mich schon heuer auf das Norwegen-Finnland-Abenteuer im nächsten Jahr vorzubereiten führe ich ein ganzes Haus samt Bett mit mir. Klingt wahnsinnig – obwohl – alles passt in eine unterdurchschnittlich große Umhängetasche, die am hinteren Gepäcksträger mitfährt. An dieser Stelle großer Dank an Mirijam und Robert vom Outdoorausrüster Treksport (www.treksport.com) in der Stumpergasse 16, für die kompetente, sowie geduldige Beratung. Das Aufbau-Trockentraining im Shop hab ich bestanden, morgen folgt die Nagelprobe in der freien Natur unterm Marillenbaum im Schrebergarten.

Ein Kranzerl, ein Ketterl, ein Spritzer, …


Montag 13. Jänner

… das klingt wie aus dem Delikatessen-Greißler. Im Rad-Feinkost-Laden der Cooperative Fahrrad (www.fahrrad.co.at) bekommt der Reiseradler wertvolle Tipps vom Profiradler und das Reise-Brompton nach rund 5.000 gefahrenen Kilometern entlang des Eisernen Vorhangs ein notwendiges Pflegepaket: neue Kette, neue Kranzerl, neue Bremsbackerl und ausreichend Spritzer Öl. Der Profiradler Dominik Mandl hat für jede noch so patscherte Frage des Reiseradlers eine kompetente Antwort. Unter Anleitung des Meisters wird das geschundene Faltrad nach allen Regeln der Kunst auffrisiert. Volle zwei Stunden wird gezangelt und geschmiert, alles nach Dienstschluss. Die Heimreise fühlt sich an wie ohne Treten, das Brompton radelt wie von alleine.
Danke Dominik!

Fasten am Eisernen Vorhang …


Karte

Montag 23. Jänner

… das kingt, zugegeben, etwas vertrottelt, aber: erstens, ist der Jänner sowieso ein unerotischer Monat, da ist auch nix verhaut wenn man gleich auf alle einem wichtigen Lustbarkeiten wie Bier, Wein, Zigaretten, Schweinsbraten, Knödel, … verzichtet. Nulldiät. Außer Tee in ekelhaften Mengen, ein viertel Liter Gemüsesaft zu Mittag und einen Teller leere Gemüsesuppe am Abend. Und zweitens, bringt so eine einwöchige Kur Frischluft in die verkopfte Winterdepression, lässt einem Flügel wachsen (ohne Dose) und bedient sich großzügig der angesammelten Fettreserven. Win-Win. Und warum am Eisernen Vorhang? Darum! Weil: das gerade Thema ist, das verträumte tschechische Städtchen Mikulov in einer knappen Stunde von Wien aus zu erreichen ist, die Region Mikulov-Valtice-Lednice zwei UNESCO Weltkultur und Naturerbe-Gebiete beherbergt und weil die Gegend zum Wandern, Spazierengehen und Radfahren einfach ein Traum ist. Apropos Radfahren, das Brompton spielt bei dieser „Extratour“ ausnahmsweise nur eine Nebenrolle. Eine Hauptrolle spielt die Liebste die mit mir auf alle Genussmittel verzichtet. Aber Schluss jetzt, die Fastensuppe wartet

Wieder in Wien, Jour Fixe am Rochusmarkt und Zusammenfassung


Samstag 24. Dezember

Strecke: Dresden – Wien Erdberg (Bus) – Rochusmarkt

Irgendjemand verzögert die Zeit, es wird und wird nicht Mitternacht. Noch einmal durch Dresden, von der Neustadt über die Augustusbrücke durch die Altstadt bis zum Bahnhof. Der Weihnachtsmarkt-Zauber schläft schon, nur die besoffenen Weihnachtmänner sind noch unterwegs. Der Bus ist pünktlich und bummvoll. Geschlafen wird wenig. Das Brompton fährt im Kofferraum mit. Es ist an der Zeit ein Loblied anzustimmen: Mit allen Verkehrsmitteln transportierbar, ob Flugzeug, Bahn oder Bus. Ohne Aufpreis! Und während sich so manche(r) um 6.30 Uhr im dunklen Erdberg (Zielbusbahnhof) fürchtet, sitzt der Bromptonista – klipp-klapp – schon am Rochusmarkt bei einer Melange. Später kommt die Liebste, noch etwas später die Marktbande. Come together am Rochusmarkt, jetzt ein Glaserl aufs Christkind. Schön wieder da zu sein.

Zusammenfassung:
15 Reisetage. 1 Flug (Wien – Berlin). 6 verschiedene Bettenstationen. 8 Mal die Elbe gequert. 1 Busfahrt (Dresden – Wien). Radkilometer: Berliner Mauer-Radweg: 160 km. Elbe-Radweg: 280 km. Extratouren: 79 km. Gesamt: 519 km

ps: Die nächste „Vorhang-Auf“-Extratour startet Ende Jänner unter dem Vorsatz: „Fasten am Eisernen-Vorhang“