Seenplatte, Grüner Wald und Häuserkampf in Prenzlauer Berg


Dienstag 13. Dezember

Strecke: Mandelstraße – mit der S-Bahn bis Wannsee (Start der 4. Mauerradweg-Strecke) – mit der Fähre nach Kladow – Groß Glienicke – Staaken – Spandau – Henningsdorf (Ende der 4. Mauerradweg-Strecke) – mit der S-Bahn in die Mandelstraße

Streckenlänge: 40 Fahrradkilometer Fahrzeit: ca. 3 h

So ein Heimabend wirkt Wunder. Rundum fit beginnt die vierte Teilstrecke mit einer Bootsfahrt über Wannsee und Havel nach Kladow. See folgt auf See. Am Groß Glienicker See steht noch ein kleines Mauerreststück und lässt in einer malerischen Kulisse das Unvorstellbare erahnen. Geschichte „er-fahren“ nennt es der Grün-Politiker und Vater des Berliner Mauerradwegs Michael Cramer. Der ehemalige Todesstreifen wird grün und legt sich wie ein Gürtel um die westliche Berlin-Hälfte. Der Artenreichtum von Tier- und Pflanzenwelt floriert im einstigen Sperrgebiet. Ab Spandau führt das sanfte Asphaltband durch den „Grünen Wald“. Grün, nicht durch das Laub, das sich längst braun gefärbt hat und die ebene Erde bedeckt. Grün, durch die von Moos bewachsenen, kahlen Baumstämme. In Henningsdorf ist wie gestern (aus anderer Richtung kommend) Endstation. Berlin am Rand ist abgeradelt, morgen wartet die Kernzone. Davor allerdings gibt es heute wieder abendliches Kulturprogramm. Der Kulturverein „Rumbalotte Continua“ (http://www.rumbalotte-continua.de) musste vor wenigen Jahren Prenzlauer Berg verlassen und wohnt inzwischen im nördlichen Pankow. Der Häuserkampf tobt, die Mietpreise wachsen ins Unermessliche, die Gentrifizierung ist nicht aufzuhalten. Die eingesessenen Ostler sind not amused und so steht auf Häuserwänden zu lesen: „Liebe Schwaben, wir wünschen euch schöne Weihnachten und bitte bleibt zu Hause!“

Es steppt der Bär, das Wunder von der Bornholmer Straße und ein wohlverdienter Heimabend


 

Montag 12. Dezember

Strecke: Mandelstraße – Mauerpark (Start der 3. Mauerradweg-Strecke) – Bornholmer Straße – Wollankstraße – Glienicke – Hohen Neuendorf – Henningsdorf (Ende der 3. Mauerradweg-Strecke)- mit der S-Bahn zurück in die Mandelstraße

Streckenlänge: 48 Radkilometer      Fahrzeit: ca. 4 h

Die Vernunft hat abgesagt. Kultur. Party. Ende? Nie! Dabei hat alles unverfänglich mit einer Sonntagslesung begonnen. In der Luxus Bar in der Prenzlauer Allee performt Hermann Jan Ooster über den „Rhythmus der Hörgeräte“ und Kai Pohl verordnet seinen „literarischen Notfallsplan“. Auf Kunst folgt Gin-Tonic. Ein Funken Denkvermögen führt dann doch nach Hause. Routinen werden gekippt: Boulette statt Rührei zum Frühstück. Alles anders. Um die Mittagszeit wird das Brompton entfaltet und die Route wird gegen den Uhrzeigersinn umgekrempelt. Ein Prachttag. Der Mauerpark in Prenzlauer Berg ist der heutige Null-Kilometer. Etwas nördlicher der ehemalige Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Bösebrücke schrieb am 9. November 1989 Weltgeschichte als um 22.30 Uhr der Grenzübergang für alle Besucher aus dem Ostteil der Stadt geöffnet wurde. Der Anfang vom Ende der DDR. Immer den S-Bahn-Gleisen entlang dünnt sich die Stadt aus. Am Köppchensee an der nordöstlichen Stadtgrenze wird das pulsierende Berlin zur Ruheoase. Lange Geraden führen durch den Berliner Forst und die Stolper Heide bis nach Henningsdorf. Schluss für heute, jetzt beginnt ein wohlverdienter Heimabend ohne Ausgang.

Eine landschaftlich romantische Ausfahrt durch die finstere Geschichte


Sonntag 11. Dezember

Strecke: Mandelstraße – Volkspark Friedrichshain – mit der S-Bahn bis Lichtenrade (Start der 2. Mauerradweg-Strecke) – Marienfelde – Teltow – Dreilinden – Klein Glienicke – Wannsee (Ende der 2. Mauerradweg-Strecke) – mit der S-Bahn zurück in die Mandelstraße

Streckenlänge: 45 Radkilometer     Fahrzeit: ca. 3 h 30 min

Sonntag Morgen. Die Straßen leergefegt und die ansonsten überfüllten Straßenbahnen fahren einsam durch die Gegend. Der Bär ist müde, Berlin schläft noch. Selbst der Alex vergräbt seinen Kopf unter einer dicken Wolkendecke und es tröpfelt am Asphalt. In den ersten Tagen zeichnen sich bereits einige Routinen ab: Lecker Frühstück und Netzzugang gibt es bei einem türkischen Bäcker/Lebensmittel-Laden nahe dem Volkspark Friedrichshain, die Ring-S-Bahn ist neben dem Brompton das Hauptverkehrsmittel und in der Bierquelle, einer Raucherkneipe auf der Greifswalder Straße, entsteht der tägliche Blog. Ab Lichtenrade wird die Mauerspur wieder aufgenommen. Die heutige Etappe ist etwas kürzer bemessen. Das Wetter ist bescheiden, der Kadaver ist müde. Es geht durch Felder, Wälder und Kirschbaumalleen, immer den Kolonnenweg entlang bis sich nahe Potsdam eine Seenlandschaft ausbreitet. An den Rändern hat sich die Natur den Mauerstreifen zurückerobert, eine wildromantische Strecke, wären am Wegesrand nicht all die Erinnerungstafeln an die unzähligen Maueropfer. Die Fotokamera verbringt den Großteil der Strecke unter der Regenhaut, die fotografische Ausbeute des heutigen Tages wird somit dürftig ausfallen. Finster wirds, am Wannsee endet die sonntägliche Ausfahrt. Das abendliche Kulturprogramm wird diesmal zeitlich beschränkt, der Körper fordert sein Recht auf Schlaf.

Metal-Kneipe, Mauer-Zirkus, Berlin am Rand


Samstag 10. Dezember

Strecke: Mandelstraße – East Side Gallery (Start der 1. Mauerradweg-Strecke) – Oberbaumbrücke – Sonnenallee – Gropiusstadt – Lichtenrade (Ende der 1. Mauerradweg-Strecke) – mit S-Bahn zurück in die Mandelstraße

Streckenlänge: 50 Radkilometer       Fahrzeit: ca. 4 h

Die letzte Station des gestrigen Abend ist die Metal-Kneipe „Blackland“ zwecks Netzzugang. Live-Musik-Dröhnung inklusive. Trotzdem frisch gestaltet sich der Tourstart. Die East Side Gallery ist die denkbar schlechteste Wahl für den Einstieg in den Mauerradweg. Das längste noch erhaltene Mauerstück, ist ein touristischer Hotspot. Zwei sich Bussi gebende ältere Männer („Bruderkuss“ von Leonid Breschnew und Erich Honecker) haben Busladungen von Knipser_innen zur Folge. Die Mauer verkommt zum Zirkus, zu einem gruseligen Disneyland. Eine Stop-And-Go-Etappe führt zur Oberbaumbrücke. Die letzten Übriggebliebenen der vergangenen Nacht mühen sich von Friedrichshain über die Spree nach Kreuzberg. Langsam kehrt Ruhe ein. Eine Doppelreihe Kopfsteinpflastersteine markiert den innerstädtischen Grenzverlauf. Verwinkelt und für Spätgeborene kaum real vorstellbar. Ein einsamer ehemaliger Wachturm in Alt Treptow, inzwischen sehr bunt, steht orientierunglos im Park. In Folge wird der ehemalige Grenzverlauf geradliniger und ländlicher. Statt einer Mauer trennt aktuell eine Autobahn die Stadtteile. Felder, Wiesen, kleine Teiche, sehr viel Gegend, bis sich die Gropiusstadt im Hintergrund abzeichnet. Der ehemalige Mauerstreifen ein Erholungsgebiet für Jogger, ein Auslaufgebiet für Hunde samt Besitzer_innen. Am Bahnhof Lichtenrade ist vorerst einmal Endstation, das Brompton wird gefaltet und die S-Bahn bringt es nach Hause. Der Kopf ist voll, der Bauch ist leer. Die lieben Freunde sind am Kochen! Die Metal-Kneipe lass ich heute aus.

Wieder in Wien, Rochusmarkt-Bande und Zusammenfassung


16. Tag, Samstag 1. Oktober

Karte

Strecke: Riga – Wien (Flug)

Riga vier Uhr in der Früh. Wenig Schlaf, mit dem Taxi zum Flughafen. Wenige Stunden später, wieder in Wien. Genauer, vereint mit der Rochusmarkt-Bande, nach erledigtem Einkauf, beim allsamstaglichen Jour fixe am Würstelstand. Schön!

Die Zusammmenfassung:
Strecke: St. Petersburg – Riga
Länder: Russland, Estland, Lettland
Gefahrene Kilometer: Gesamt (968 km), mit dem Rad (683 km), Zug (175 km), Bus (110 km)
Grenzübertritte: 2
Reisetage: 16
Bettstationen: 12 verschiedene Betten, davon drei (St. Petersburg, Tallinn, Riga) doppelt belegt

Vielen Dank fürs Lesen, Liken, Begleiten und für euren Zuspruch. DANKE!

Im Dezember geht es weiter mit dem Berlin-Mauerradweg.

Alles Liebe & Dank
Mario & Angela

Kosmetische Korrektur, Zielfoto und Halli Galli


15. Tag, Freitag 30. September

(Strecken-Karte St. Peterburg Riga)

Strecke: Riga

Stadtrundfahrt: 7 km

Die letzte Radetappe hat gestern unerwartet, abrupt geendet. Irgendwie ein Schönheitsfehler in der Chronologie. Also packen wir unsere Räder heute noch einmal aus und drehen eine Ehrenrunde durch Riga, samt hochoffiziellem Zieleinfahrt-Gruppen-Foto.
Riga ist die größte der baltischen Hauptstädte. Die Altstadt liegt an der Daugava (Düna) und ist ein ähnliches Museumsdorf wie Tallinn. Allabendlich überfüllt von vergnügungssüchtigen, grölenden Touristen-Horden. Außerhalb des Altstadtringes ändert sich das Stadtbild schlagartig. Da fällt mir prompt ein Sigi Maron Song (Text: Fritz Nussböck) ein: „S’Lebn is hoat in Favoriten“. Aber das würde jetzt zu weit führen … Wir finden dennoch unser Wohlfühlplatzerl und stoßen an auf unseren letzten Abend. Alles inklusive: „Es war großartig!“

ps: Morgen folgt der Abschlussbericht.

Kein Netz, erst Kurzstrecke, dann Bus


14. Tag, Donnerstag 29. September

Karte

Strecke: Häädemeeste – Jaagupi – Kabli – Ikla (EST) – Ainazi (LV) – Riga

Streckenlänge: 28 km Fahrzeit: 1 h 35 min

Strecke: Ainazi – Riga mit dem Bus – 110 km, Fahrzeit: 2 h 20 min

Der zeitverzögerte frühmorgendliche, aber eigentlich gestrige Blog, hat möglicherweise für Verwirrung gesorgt. Schuld daran war nicht das Wirtshaus, schuld daran war das zwar angekündigte, dennoch nicht vorhandene Internetz. So sind wir heute sehr zeitig in die örtliche Bücherei (Geheimtipp) gepilgert, die zwar noch geschlossen war, trotzdem ließ sich das Netz anzapfen.
Die letzten 28 Kilometer bis zur lettischen Grenze waren nicht nur theoretisch ein Katzensprung. Eine ruhige, kaum befahrene Landstraße und wie immer, rechts außen nach dem Waldstreifen, das Meer. Der Grenzübertritt war nach über einer Woche Estland etwas wehmütig. Die lettische Willkommenspolitik verwehrt uns die Nebenstraßenromantik und bietet uns stattdessen die A1. Wir, nicht blöd, besteigen den Bus. Das entlastet Beine und Nerven und bringt uns einen vollen Tag in Riga. Unseren morgigen, letzten

Schwerverkehr und Wirtshaus statt Dünen


13. Tag, Mittwoch 28. September

Strecke: Pärnu – Uulu – Voiste – Häädemeeste

Streckenlänge: 43 km Fahrzeit: 3 h

Auf idyllischen Pfaden verlassen wir Pärnu. Des Glück is a Vogerl, wenige Kilometer später landen wir auf der Hauptverbindung Pärnu – Riga. Zwei Spuren, in jede Richtung eine, Schwerverkehr inklusive. Ein Entlastungstag sollte es werden. Nur schlanke 43 Kilometer. Theoretisch ein Hupfer. Praktisch ein hartes Stück Mental- und Beinarbeit im (Gegen)Windkanal gegen die vorbeiziehende Blechlawine. Die letzten sechs Kilometer drürfen wir wieder gemächlich der heutigen Endstation entgegentreten. Es beginnt zu regnen und hört nicht mehr auf. Anstatt durch die angeblich höchsten Dünen Estlands zu wandern, begeben wir uns ins örtliche Wirtshaus.

Durchgefroren, hungrig, schweißnass und regentrocken


12. Tag, Dienstag 27. September

Strecke: Paatsalu – Varbla – Töstamaa – Pootsi – Audru – Pärnu (Karte)

Streckenlänge: 82 km Fahrzeit: 5 h 15 min

Die letzte Nacht war sehr speziell. Schon bei der (mitgebrachten) abendlichen Jause war es sehr huschi! Im Zimmer war es später bitterkalt, der kleine Zustellheizkörper arbeitete nach Kräften. Da hilft nur kuscheln!
Der morgendliche Nebel ist die Steigerung dieser ohnehin schon unglaublichen Kulisse. Für den heutigen Streckenabschnitt gilt: „Copy And Paste“ (siehe Tag 11). Da wir alle mitgeführten Vorräte am Vorabend verputzt haben, wird erst einmal bromptonisiert. Die ersten Vitamine in Form von sauren Mostäpfeln bietet der Straßenrand. Bei Kilometer 25 beglückt uns ein Mini-Markt, bei Kilometer 35 gibt es heißen Kaffee. Die Mittagspause folgt im letzten Drittel, hoch über der Erde, dem Himmel ein Stück näher, auf einer einsamen Aussichtsplattform im Wald. Der Himmel bringt uns zum Thema Wetter. Die Liebste verbringt viel Zeit mit dem Kopf in den Wolken und pflegt ihre „gallische“ Angst, dass uns „der Himmel auf den Kopf fallen könnte“. Schlussendlich landen wir erschöpft in der estnischen Sommerhauptstadt Pärnu. Schweißnass, aber regentrocken, so wie jeden Tag. So darf es bleiben.

Landschaftlicher Stillstand, Zahlenspiele und ein Häuschen am Wasser


11. Tag, Montag 26. September

Strecke: Haapsalu – Kabeli – Kirbla – Lihula – Tuudi – Karuse – Paatsalu (Karte)

Streckenlänge: 75 km Fahrzeit: 5 h

Haapsalu im morgendlichen Nebel. Kinder auf dem Schulweg, einige Fischer versuchen ihr Glück auf der Strandpromenade, der Blick in die Ferne ist verschleiert.
Zur heutigen Etappe: „Same procedure as every day“ (aus „Dinner for one“). Und da waren sie wieder, die drei „W“ – Wald, Wiese, Wind. Letzterer verhielt sich heute neutral. Wenn sich über Kilometer so gar nichts tut, geht uns das Radeln, vulgär ausgedrückt, schon ziemlich auf die Eier (diesmal wird nicht gegendert). Bei landschaftlichem Stillstand vertreiben wir uns die Zeit mit Zahlenspielen: Auf vier Häuser kommt eine Busstation, aber nur jede zweite hat ein Sitzbankerl. Für einen Mini-Markt bedarf es so um die hundert Wohneinheiten. Jede sechste Hütte hat einen Hund hinter dem Zaun. Die Holz- überwiegt gegenüber der Plattenbauweise. Und auf dem Asphaltband wird gewarnt vor „Elchen“, „Hirschen“, „über die Straße laufenden Kindern“ und „alten Menschen“.
Inzwischen sind wir beim vierten „W“ gelandet, am Wasser. Keine Menschen außer uns, nur Schilf, Libellen, Windräder und ein Fischerboot. Zeit für eine Jause.